Der "Tristan" ist die große Überraschung der Festspiele 2022, denn üblicherweise wird in Bayreuth zusätzlich zu einem neuen "Ring" keine weitere Premiere angesetzt. Die Neuinszenierung hat Roland Schwab übernommen. Für ihn ist klar: Pink Floyd sehen alt aus im Vergleich zu Wagner.
Bildquelle: dpa-Bildfunk/Rolf Vennenbernd
Das Interview anhören
BR-KLASSIK: Roland Schwab, der Tristan ist ja die große Überraschung dieser Festspiele 2022, denn üblicherweise wird in Bayreuth zusätzlich zu einem neuen "Ring" keine weitere Premiere angesetzt. Es heißt, es gab nicht den üblichen jahrelangen Vorlauf, sondern Sie wurden wohl ziemlich kurzfristig angefragt. Hand aufs Herz: die erste Reaktion – hurra oder oh Schreck ….?
Roland Schwab: Ein großes Hurra! Super gerne und sofort habe ich zugesagt. Wagner, das ist mein dauerhafter Lebensgefährte, meine Ur-Begeisterung von Jugendzeit an und mein Erweckungserlebnis. Wagner an der Bayrischen Staatsoper besonders mit Sawallischs "Ring" war es bei mir. Die "Walküre" und das Vorspiel dazu, das hat eingeschlagen! Und dann ist man dem lebenslang verfallen und kommt folgerichtig, was die eigenen Sehnsüchte betrifft, nach Bayreuth, dem höchsten Ort der Wagner-Pflege.
Das Ganze war mit keiner Sekunde Zögern verbunden.
BR-KLASSIK: Soweit ich weiß, haben Sie bisher den "Lohengrin" in Salzburg inszeniert. Nun ist der "Tristan" aber vielleicht doch noch ein spezieller Fall - diese Handlung in drei Aufzügen, die nicht wirklich extrem viel Handlung enthält. Wie geht man da ran, als Regisseur? Wie gefährlich ist die Transzendenz dieses Stücks für den Regisseur?
Roland Schwab: Das ist ein ganz delikates Thema. Ich habe zu jedem Werk eine unterschiedliche Herangehensweise. Als Regisseur muss man sich immer die Frage stellen: Was ist das wirklich Singuläre an einem Werk. Und das Singuläre am "Tristan" ist: Der Zuschauer will sich nicht finden, er will sich verlieren. Dem, was ich nachgehen will, ist eine Poesie, auch wenn das Werk von Wagner provokant - so nenne ich es mal - Handlung genannt wird. Es ist doch eine Poesie, und Poesie ist nur bedingt mit Analyse beizukommen. Wir packen den Zuschauer beim Urbedürfnis, das ist die Sehnsucht. Das ist ein Stück aus der Nacht geboren, es ist ein Stück für Nachtgeweihte. So will ich's diesmal inszenieren. Damit stelle ich mich sicher gegen einen Kontext des Regietheaters, nämlich Sehnsüchte zuzulassen. Aber die Zeit und ihre aktuellen Wirren bestätigen mich darin. Ich mache kein zermürbendes Theater. Ich mach ein transzendierendes Theater - nicht kitschig verstanden - einer Weltflucht. Und mit den beiden Liebenden lösen wir uns von den grellen Tagesaktualitäten.
BR-KLASSIK: Wagner selbst hatte mal geschrieben, nur mittelmäßige Aufführungen des "Tristan" könnten ihn retten. Denn vollständig gute müssten die Leute verrückt machen. Was ist da dran? Ist diese Oper heute noch gefährlich? Muss man vor Risiken und Nebenwirkungen warnen, vor Rauschzuständen?
Roland Schwab: Natürlich war diese Musik damals, 1865, ein unglaubliches Novum und hat Chaos in den Köpfen und in den Seelen erzeugt. Inzwischen treten wir diesem Erlebnis doch gewappnet - mit vielen Aufnahmen und vielen Erfahrungen - entgegen. So leicht werden war nicht mehr weggespült, dass wir jetzt mittelmäßige Aufführungen bräuchten. Aber es steckt doch immer noch diese unglaubliche Urkraft drin. Und wenn ich auf die Uraufführung 1865 anspiele: Ich finde es immer so lustig, dass 100 Jahre später Pink Floyd gegründet werden - und Wagner nimmt psychodelisch bereits solche Bands und ihre Raffinesse voraus. Eine meiner absoluten Lieblingsstellen ist im zweiten Akt: die Brangänerufe, wie Wagner es schafft, Warnrufe sirenenhaft schön einzubetten in den Wonnekosmos der Liebenden. Das ist höchste psychedelische Kunst – und Pink Floyd sehen alt aus im Vergleich zu Wagner. Solche Stellen lassen einen immer noch schwindelig werden.
Pink Floyd sehen alt aus im Vergleich zu Wagner.
BR-KLASSIK: Sie sind ein genuiner Musiktheaterregisseur und haben das ja auch studiert. Ich habe gelesen, dass Sie sich die Partituren auch wirklich am Klavier erarbeiten. Also, Sie wissen sehr gut, wofür dieser "Tristanakkord" steht, auf dessen wirkliche Auflösung wir fast vier Stunden warten müssen. Wie wichtig ist denn diese musikalische Struktur für ihre Arbeit?
Roland Schwab: Für mich ist die Wahrheit immer in der Musik. Der Text ist eine andere Ebene. Der Text wird zunehmend fast uninteressant und wird von der Musik verschluckt. Es könnten irgendwann im Liebesduett nur noch - provokativ gesagt - Urlaute sein. Alles wird eins und löst sich auf. Das ganze Weltall löst sich in Musik auf. Wenn ich sage, Musik hat für mich die Wahrheit, dann ist meine Inszenierung natürlich ganz an den musikalischen Impulsen gebaut. Aus der Musik heraus entwickle ich auch mit meinem Bühnenbildner die Räume. Das müssen Räume sein, die die Musik zur superlativen Entfaltung bringen. Nichts soll sich dem musikalischen Fluss querstellen, das ist ganz wichtig. Meine Inszenierung soll ein ultimatives musikalisches Erleben werden. So sehe ich mich als Regisseur, der aus der Musik heraus über den Beruf ergriffen hat.
BR-KLASSIK: Als man Patrice Chereau nach seinem Bayreuther "Jahrhundert-Ring" den "Tristan" angeboten hat, hat er ja zunächst abgelehnt und sehr lange gewartet. Bis er es dann doch versucht hat, weil er sagte: Es ist im Grunde ein reines Hörspiel. Ist da also wirklich schon alles in der Musik drin, sodass es schwer ist, szenisch noch etwas hinzuzufügen?
Alles muss in reinem Fühlen aufgehen.
Roland Schwab: So homogen, wie man vielleicht denkt, ist das Werk nicht. Der erste Akt ist schon ein deutlicher Kontrast zum zweiten Akt, der sich wiederum sehr vom dritten Akt unterscheidet. Im ersten Akt sind wir noch in den konkreten Emotions-Höllen drin - und die müssen dramatisch gezeigt werden. Das Trauma der Isolde, das ist ein sehr interaktiver Akt. Den muss man mit fast schauspielerischem Detail zeigen, bevor sich mit dem zweiten Akt etwas ganz Neues ereignet. Die Zäsur fühlt ja jeder vor "Oh sink hernieder, Nacht der Liebe‚, und dass hier ein ganz neuer metaphysischer Raum beginnt. Da wird es absolut schwer, dieser Transzendenz zu entsprechen. Und da merkt man, wie sich der Text in der Musik verliert. Die Regie verliert sich auch- und alles muss in reinem Fühlen aufgehen. Der dritte Akt ist ebenfalls sehr heikel. Ein Akt der riesigen Stagnation: das Schiff, was nie kommen wird. Wie stellt man Stagnation da, ohne dass beim Zuschauer selber stagniert? Das ist eine große Kunst, aber ich glaube, da gehen wir einen Weg, der diese Problematik gut löst.
BR-KLASSIK: Noch Mal zurück zum Anfang oder vielleicht noch vor den Anfang: Sie sagten, Isoldes Trauma passiert ja fast, bevor der Vorhang aufgeht. Eigentlich passiert mehr davor als danach. Tristan hat ja Isoldes Verlobten getötet und hat auch noch sein Haupt nach Irland zurückgeschickt. Er wurde dann selbst bei diesem Kampf verwundet und hat sich ausgerechnet von Isolde gesund pflegen lassen. Und anstatt irgendwie dankbar zu sein, verkuppelt er sie mit seinem ältlichen Onkel Marke. All das sind ja nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine große Liebesgeschichte.
Roland Schwab: Diese Vorgeschichte ist ein ganz großes Horrorszenarium und Wagner sucht sich dramaturgisch raffiniert das Schiff als Ort der Ausweglosigkeit – mit allen Konflikten auf engstem Raum. Drumherum ist nur das Meer und er intensiviert diese Situation noch mit der drohenden Ankunft. Die Minne hat dann ihre Macht, wenn sie gegen Bedingungen zuschlägt. Und so wird von Wagner das Wunder der Liebe gefeiert und auf die Spitze getrieben: sich in einen Mörder verlieben, noch dazu in den Mörder des Verlobten. Das ist die verquerste Ausgangslage, in der aber die Kraft der Liebe in ihrer Paranoia umso absonderlicher zuschlägt.
BR-KLASSIK: Isoldes Zorn im ersten Aufzug ist jedenfalls sehr gut verständlich. Und sie sieht ja auch nur einen Ausweg und will Sühne trinken. Brangäne soll diesen Todestrank kredenzen - was sie zum Glück nicht tut, sonst wäre die Oper sehr schnell zu Ende. Die Frage ist, wie wichtig ist es, dass sie diese Tränke vertauscht? Dass es also nicht der Todestrank, sondern der Liebestrank ist. Oder könnten Tristan und Isolde, wie Thomas Mann geschrieben hat, genauso gut ein Glas Wasser trinken, weil es nur um diese psychologische Enthemmung diesem Moment geht?
Roland Schwab: Auf Thomas Mann kann man bei Wagner ja oft zurückgreifen. Und hier hat er natürlich absolut Recht. Trotzdem, die beiden Liebenden müssen bedingungslos an den Trank glauben. Damit sich dieses Ventil in Todesnähe öffnen kann und dass sich alle Verdrängungen auflösen - und dass sie sich zu ihren unterdrückten Gefühlen bekennen können.
Der Trank selbst ist natürlich ein Placebo. Aber die Liebenden müssen felsenfest an ihn glauben.
BR-KLASSIK: Wie wichtig sind überhaupt diese vertrauten Figuren Kurwenal und Brangäne? Oder sind das mehr oder weniger eine Art Restbestände aus dem Opernfundus? Braucht man sie, um ein Minimum an Handlungen voranzutreiben? Oder haben sie auch eine psychologische Bedeutung - quasi in der Vermittlung zum Publikum?
Roland Schwab: Die beiden sind ganz wichtig! Brangäne ist manchmal wie eine andere Facette von Isolde. Sie sind ja in ihrer Stimmlage sehr ähnlich geführt, was das noch verführerischer macht. Sie ist immer der Gegenpol zu Isolde, der Zweifel, der an ihr nagt. Im zweiten Akt gibt es dann diese wunderbare Jagdszene: Isolde träumt sich das ungestörte Liebestreffen herbei, Brangäne konfrontiert sie mit der gefährlichen Falle. Das sind wie zwei Seelen in Isolde - oder aber das Herz und der Verstand. Kurwenal hat seine große Funktion im ersten Akt. Der singt dieses ganz hässliche Morold-Spottlied und sorgt für Nervenzusammenbrüche bei Isolde. Im dritten Akt sieht er aber sein Fehlverhalten ein, indem er sich um die Ärztin sorgt, die Tristan am Sterbelager erlöst. Diese Wandlung macht ihn zum fast symbiotischen Gefährten von Tristan. Das hilft dem Charakter Tristan ungemein. Brangäne und Kurwenal sind also ganz wichtige Seelen-Trabanten um die Protagonisten Tristan und Isolde herum.
BR-KLASSIK: Dann springen wir noch in den dritten Aufzug, der, wie Sie selbst sagen, ebenso stagnierend beginnt, wirklich trostlos mit dieser Hirtenweise mit dem Englischhorn-Solo und diesen quälenden Fantasien von Tristan, der schließlich stirbt. Marke kommt mit seinen Versöhnungs- und Vermählungsabsichten zu spät. Dann gibt es kurz nochmal Mord und Totschlag – und plötzlich kommt dieses "in des Welt-Atems wehendem All --- ertrinken, versinken", also der sogenannte Liebestod mit einem extatischen Text mit rauschhafter Musik. Eigentlich hört man da nicht unbedingt ein Sterben raus. Wie sehen Sie dieses Ende? Mit welcher Vision entlassen Sie uns Zuschauer?
Roland Schwab: Bei "Tristan und Isolde" wurde auf den Theaterbühnen lange Zeit gegen Utopien gekämpft. Ich denke, die Zeit ist reif, mal wieder an Utopie zu glauben und an die Ewigkeit eines Liebesgedankens. Und wenn Wagner nicht diesen sogenannten Liebestod komponiert hätte, dann würde ich allen analytischen Ansätzen recht geben, die die Unmöglichkeit einer Liebe zeigen. Wagner endet aber nicht mit einer Bestätigung dieser Handlung, sondern hebt ab in eine Ekstase, die jeden Tod und jedes Grauen der Geschichte und alle Miseren überwindet. Und insofern ist es nicht der Schopenhauer-Ballast, denn der wird spätestens im Liebestod abgeworfen. Das heißt, wir können daran glauben, dass ein sehr, sehr schöner Gedanke in vielen Metamorphosen ewig weiterlebt. Ich habe immer das Bild von Philemon und Baucis vor mir: die ewige Liebe, die Menschen, die zu Bäumen werden. Und da ist man auch verlinkt mit einer der Ur-Vorlagen, dass auf den Gräbern von Tristan und Isolde Pflanzen wachsen: ein Wein und ein Efeu, die sich in der Höhe umranden. Das ist ein sehr schöner Gedanke, der musikalisch gar nicht so fernliegend ist.