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Kritik – "Ouverture spirituelle" bei den Salzburger Festspielen Musik verwandelt Düsternis in Schönheit

Wie jedes Jahr starten die Salzburger Festspiele auch in diesem Sommer vor der ersten Opernpremiere mit einer "Ouverture spirituelle", einer spirituell geprägten Konzertwoche. Aber was heißt schon "wie jedes Jahr" – denn auch wenn sich alle nach "Normalität" sehnen, macht Corona den Verantwortlichen so manchen Strich durch die Rechnung. So machten Reisebeschränkungen Umbesetzungen nötig. Und seit gestern gilt wieder Maskenpflicht – nachdem es gleich am ersten Tag einen Corona-Fall gegeben hat und daraufhin 44 Besucher in Quarantäne mussten. Doch auch mit Maske lohnt sich ein Besuch.

Bildquelle: © picture alliance/APA/picturedesk.com

Die Kritik zum Anhören

Der Moment, in dem plötzlich die Dunkelheit hereinbricht über die Welt – immer wieder kann man ihn erleben bei diesen Konzerten der "Ouverture spirituelle". Eben noch ließ das Vokalensemble Cinquecento lichte Renaissanceklänge durch die weite weiße Kollegienkirche schweben. Doch dann, just als draußen die Sonne versinkt und den Raum in dunkle Schatten taucht, senken sich Schatten auch über die Musik: George Crumbs Streichquartett "Black Angels" beschwört mit grellschwarzen Klängen die Schrecken des Vietnamkriegs herauf.

Höchste Intensität beim Streichquartett "Meta4"

Ein weiteres Mal verdunkelt sich die Welt am nächsten Nachmittag. Es ist das finnische Streichquartett "Meta4" am Start, wieder mit höchster Intensität, diesmal mit einem anderen Klassiker der Moderne: "Different Trains" von Steve Reich. Zu Beginn, da rattert die Musik noch fröhlich vor sich hin wie eine geschmiert laufende Eisenbahn. Doch plötzlich kippt die Stimmung, erinnern die Samples vom Tonband nicht mehr an unbeschwerte Zugfahrten in der Kindheit des Komponisten, sondern auch an jene Züge, die zur selben Zeit Millionen Juden in deutsche Vernichtungslager transportierten. Eine Finsternis, die danach in der Pause auch das helle Sonnenlicht nicht mehr aus den Gesprächen vertreiben kann.

Messiaen als Sternstunde

Alina Ibragimova, Francesco Piemontesi, Jörg Widmann und Nivolas Altstaedt bei den Salzburger Festspielen 2021 | Bildquelle: SF / Marco Borrelli Alina Ibragimova, Francesco Piemontesi, Jörg Widmann und Nivolas Altstaedt bei den Salzburger Festspielen 2021 | Bildquelle: SF / Marco Borrelli Der Konzertsaal als Ort für existentielle Erfahrungen – das ist in Salzburg Programm, seit Markus Hinterhäuser und Florian Wiegand die Konzerte konzipieren. Da wird die Systemrelevanz von Kunst nicht bloß behauptet, sondern an jedem Abend neu erlebbar gemacht. Etwa wenn die verstörende Wirkung von Reichs Stück nicht durch die Einbettung in einen traditionellen Quartettabend abgemildert, sondern vielmehr durch ein anderes modernes Antikriegs-Stück unterstrichen wird: Olivier Messiaens "Quartett auf das Ende der Zeit". Eine Sternstunde dank eines prominent besetzten, bis unter die Haarspitzen konzentrierten Solistenensembles um den herausragenden Klarinettisten Jörg Widmann. Atemberaubend sein intensives Solo. Inmitten Messiaens etwas süßlichem Katholizismus ein Blick in den Abgrund des Verlorenseins – abermals ein Moment, in dem sich düstere Schatten über die Welt herabsenken.

Hinterhäuser und Wiegand spannen ein Netz von Bezügen

Die Salzburger Ouverture spirituelle ist ein Gesamtkunstwerk: Ein ganzes Netz von Bezügen haben Hinterhäuser und Wiegand über die zwölf Konzerte gespannt, rund um die Themen Krieg und Frieden. Von Messiaens Quartett läuft ein Faden zu seinem selten gespielten Werk "Et exspecto resurrectionem mortuorum", einem Denkmal für die Toten der Weltkriege. Wieder ist die Kollegienkirche in mystisches Dunkel getaucht als Pablo Heras-Casado und das Klangforum Wien ein Uhrwerk aus Gongs und Tamtams durch Mark und Bein dröhnen lassen.

Musik von Cristóbal de Morales bringt Licht in die Dunkelheit

Jordi Savall | Bildquelle: David Ignaszewski Jordi Savall. Er trat bei der Ouverture spirituelle in Salzburg auf. | Bildquelle: David Ignaszewski Wie ähnlich und doch zugleich ganz anders wirkt das Totenzeremoniell, das Jordi Savall und seine Capella Reial de Catalunya im selben Konzert aufführen: das Officium defunctorum des spanischen Renaissance-Komponisten Cristóbal de Morales. Abermals rituelle Musik, aber ganz schlicht; abermals Bläserklänge, aber warm und tröstlich. 500 Jahre sind diese Noten alt und gehen uns doch näher als Messiaens rätselhafte Symbolik. Weil sie Licht bringen in die Dunkelheit des Todes. Und die Düsternis in Schönheit verwandeln.

Sendung: "Allegro" am 21. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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