Seine Karriere war steil: Mit 43 Jahren ist der Lette Andris Nelsons einer der berühmtesten Dirigenten der Welt. In Salzburg dirigiert er, seit Markus Hinterhäuser Intendant ist der Festspiele ist, jedes Jahr eine Mahler-Symphonie mit den Wiener Philharmonikern. Diesmal also die Fünfte. Davor gab es Bartóks Zweites Klavierkonzert mit Yefim Bronfman.
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Der erste Programmpunkt ist eine Enttäuschung: Das wunderbare zweite Klavierkonzert von Béla Bartók wird von Pianist Yefim Bronfman seltsam undeutlich gespielt, irgendwie klingt alles ein wenig vernuschelt. Dabei könnte dieses Stück längst ein Publikumsrenner sein, soviel rhythmische Energie steckt darin. Natürlich muss Bartók nicht immer klischeehaft "barbarisch" in die Tasten gehämmert werden. Aber die vielen kleinen Motive sollen funkeln – und das Klavier muss dem wilden Stampfen des Orchesters souverän Paroli bieten. Bei Bronfman fehlte der Biss. Und Dirigent Andris Nelsons war mit Koordinieren beschäftigt… – schade. Umso gespannter war man auf die zweite Hälfte mit Gustav Mahlers Fünfter Symphonie.
Wenn er redet, kommt Andris Nelsons immer noch ein bisschen wie ein netter Nachwuchs-Dirigent rüber. So gar nicht cool, sondern voller Eifer und ungebrochener Begeisterung spricht er über das, was er macht. Manchmal wirkt er dabei fast etwas treuherzig. Bei Proben verausgabt er sich mit hundertfünfzigprozentiger Leidenschaft. Und bleibt, was ja leider keineswegs selbstverständlich bei berühmten Dirigenten ist, im Umgang mit allen Beteiligten immer ausgesprochen freundlich und positiv. Dabei ist der sympathische 43-Jährige im Klassik-Business längst an den zentralen Machtpositionen angekommen. Als Chef beim Leipziger Gewandhaus und dem Boston Symphony Orchestra prägt er zwei der renommiertesten Orchester der Welt. Dazu kommt ein Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon.
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Bildquelle: SF / Marco Borggreve Musikalisch ist Nelsons fest verankert im traditionellen, satten, romantisch-philharmonischen Sound. Den ersten Satz von Mahlers Fünfter geht er in einem recht ruhigen Tempo an. Fast etwas behäbig bewegt sich dieser Trauermarsch. Zumal ihn Nelsons immer wieder leicht abbremst. Dabei hat Mahler ausdrücklich "streng" als Vortragsanweisung darüber geschrieben. Nelsons mag es grundsätzlich nicht so gern streng – er liebt es, die emotionalen Verlaufskurven der Musik auch im Tempo nachzuzeichnen. Auch am Sonntag wirkte das authentisch, impulsiv, aus einem glaubwürdigen Gefühl heraus. Trotzdem kann diese Nachgiebigkeit im Tempo die emotionale Wirkung manchmal auch verringern – spannungsvoller wäre ein weniger larmoyantes Tempo gewesen. Das Gefühl der Trauer kommt bei Mahler sowieso mit überwältigender Intensität – wenn es auf die Unerbittlichkeit eines streng durchgehaltenen Tempos stößt, wirken die Gefühle noch stärker.
Großartig gelingt dann das Scherzo – fantastisch warm klingen die Hörner der Wiener Philharmoniker, die ja etwas anders gebaut sind als bei allen übrigen Orchestern der Welt. Ihr besonders warmer Klang ist eines der Markenzeichen der Wiener Philharmoniker. In diesem Satz schüttelt Mahler alles bunt durcheinander – Freude und Schmerz, Volksmusik und Kontrapunkt, Dur und Moll. Hier ist der aus dem Moment reagierende Gefühlsmusiker Nelsons voll in seinem musikantischen Element. Und beweist auch seine technische Meisterschaft. Das berühmte "Adagietto" geht unter die Haut – dieser Streichersound klingt mal unwirklich schwebend, mal dunkel glühend, aber nie sentimental. Alle sind in einer anderen Welt. Und wachen in der schneidenden Doppelbödigkeit des Finales auf. Ironie in der Musik ist nicht unbedingt die Stärke von Nelsons. Und so nimmt er dieses betriebsame Finale sehr direkt. Keine revolutionäre Mahler-Deutung, keine Neuentdeckung – aber eine mit größter Liebe und Leidenschaft.
Sendung: "Leporello" am 8. August 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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