Die Salzburger Festspiele beginnen mit einem Festival vor dem Festival: Die "Ouverture Spirituelle" bringt geistliche Musik auf die Bühne – heuer unter dem Motto "Sacrificium". Ein musikalisches Programm, das in diese finsteren Zeiten passt, aber seine Botschaft aus einem Grund nicht ganz einlöst.
Bildquelle: SF / Marco Borrelli
Als Intendant Markus Hinterhäuser die diesjährige Ausgabe der Salzburger Festspiele geplant hatte, konnte er noch nicht wissen, dass am 24. Februar 2022 der russische Überfall auf die Ukraine stattfinden würde. Die "Ouverture Spirituelle", eine Konzertreihe, die zu Beginn der Salzburger Festspiele dargeboten wird und dieses Jahr unter dem Motto "Sacrificium" steht, ist daher mehr als passend. Doch schwingt in den Konzerten nicht nur die künstlerische Auseinandersetzung mit den möderischen Verbrechen in der Ukraine mit. Chor und Orchester von musicAeterna und ihr Leiter Teodor Currentzis, alle sind sie beteiligt an der Reihe "Ouverture spirituelle", sind wegen ihrer Abhängigkeit vom Putin-Regime in die Kritik geraten: eine staatsnahe russische Bank, die auf der EU-Sanktionsliste steht, sponsort die Künstlerinnen und Künstler. Vor diesem Hintergrund wirkt die musikalische Botschaft des Programms nur eingeschränkt überzeugend.
Igor Levit | Bildquelle: Robbie Lawrence Klar, die Musik der Konzertreihe "Ouverture Spirituelle" lässt einen unweigerlich an den gegenwärtigen Bombenterror im ukrainischen Lyssytschansk und Bachmut denken. Zum Beispiel wenn Pianist Igor Levit das Klavierstück "Guernica" von Paul Dessau so fantastisch musiziert. Ein Werk, das angelehnt ist an Pablo Piacassos berühmtes Bild, das die Zerstörung der Stadt Guernica während des spanischen Bürgerkriegs thematisiert. Bestürzende Aktualität herrscht auch bei der Sonate "27. April 1945" von Karl Amadeus Hartmann. Die schrieb Hartmann, nachdem er Gefangene aus dem Konzentrationslager Dachau gesehen hatte. Da denkt man natürlich auch – so sehr man sich hüten muss vor Gleichsetzungen – an die mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechen.
Lesen Sie hier das BR-KLASSIK-Interview mit Igor Levit zum Programm bei der "Ouverture spirituelle"
Auch der umstrittene musicAeterna Chor, im Konzert "In memoriam" nicht unter der Leitung seines Gründers Teodor Currentzis, sondern dirigiert von Greger Mayrhofer, hat sehr eindringlich gesungen – das Requiem von Alfred Schnittke, das in der Sowjetunion nur getarnt aufgeführt werden durfte. Doch die musikalische Botschaft des Konzerts und die Tatsache, dass musicAeterna von einer staatsnahen russischen Bank unterstützt wird, stehen im heftigen Widerspruch. Im Programmheft heißt es zurecht: "Schweigen ist das Gold der Tyrannen. Das Verschweigen der Wahrheit gehört zum Arsenal der Diktaturen. Die Werke, die im ungewöhnlichen Programm dieses Konzerts vereint sind, stellen sich der Gewalt wie dem Schweigen entgegen." Eine völlig richtige Botschaft. Doch wie glaubwürdig ist das, wenn Teodor Currentzis selbst schweigt, damit sein Chor vom Geld eines Tyrannen profitiert?
Bildquelle: TSG / Breitegger Intendant Markus Hinterhäuser hätte ein klares Zeichen setzen können, indem er nicht nur russische Komponisten aufs Programm setzt, sondern auch ukrainische Komponist*innen. Das würde die Botschaft unmissverständlich machen. Denn Dimitri Schostakowitsch widmet zwar sein Streichquartett Nr. 8 den Opfern von Krieg und Faschismus. Doch ist diese Widmung letztendlich Geschichte. Das spielt eine wichtige Rolle, denn auch Putin beruft sich auf Geschichte, behauptet absurderweise, dass er gegen den Faschismus kämpft, obwohl er ähnlich handelt wie ein Faschist, und er beruft sich auch auf Schostakowitsch. Der wird in Russland ständig gespielt. Aber ukrainische Musik, egal ob in diesem oder einem anderen Konzert, die würde ein unmissverständliches Zeichen setzen. So ein Zeichen fehlt bei den Salzburger Festspielen leider.
Dennoch: die musikalischen Darbietungen sind überragend gut. Das Hagen Quartett hat bei seinem Auftritt in der Reihe "Ouverture Spirituelle" Dimitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 fantastisch gespielt; unglaublich eindringlich, fahl, heftig und intensiv. Und es stand eben im Rahmen dieser Konzertreihe einer der besten Chöre der Welt auf der Bühne: der musicAeterna Chor. Es wäre großartig, wenn diese Ensembles noch stärker auf den westlichen Konzertbühnen vertreten wären.
Sendung: "Allegro" am 26. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Donnerstag, 28.Juli, 16:01 Uhr
doro diermayr
fehlen von ukrainischen Komponisten
bei der Eröffnung der sog. Festspiele wurde ein Werk von Valentin Silvestrov, einem ukrainischen Komponisten aufgeführt.
Donnerstag, 28.Juli, 12:55 Uhr
josef wagner
Vorwort auf dem Anfang zu dieser Site
Eine finstere Zeit haben wir derzeit ??? Also fuer mich ist der Sommer - und ganz besonders nachdem ich 11 Jahre in Pension bin und 2 erfogreiche OP hinter mir habe schon sehr hell. Leider sieht das der ORF im Programm OE2 auch nur finster und bringt die mieseste Musik aus Salzburg. Aber da kann ich ja den Radio abdrehen und mir was von meinen mehreren hundert CD auflegen.
Donnerstag, 28.Juli, 10:53 Uhr
Franz Kocka
Kosten
Wer würde für die Lebenshaltungskosten aufkommen? BR-Klassik wahrscheinlich kaum.
Wie bin ich stolz, Österreicher zu sein! Bei den Salzburger Festspielen steht nicht Politik (so sehr ich auch nicht damit einverstanden bin) zumindest im Vordergrund, sondern die Kunst.
Hat der Kritiker sich jemals an Mäzenen aus den USA gestört?
Dienstag, 26.Juli, 14:01 Uhr
YS
Warum sollte man ukrainische Musik spielen?
Nicht weil sie gut ist, sondern sie aus einem Opferland kommt? Als ob wir im Jahr 1914 waeren! Die Staatsangehoerigkeit der Komponisten hat nichts zu tun mit der Qualitaet der Musik. Und wir sollten nur solche Musik spielen, die an sich gut ist, und es ist ganz egal, ob deren Komponist aus dem moralischen Land kommt oder nicht.