Wolfgang Rihm gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Komponisten. Die Salzburger Festspiele widmen ihm eine Hommage und bringen "Jakob Lenz" konzertant zur Aufführung. Darum überzeugt diese emotionale Kammeroper.
Bildquelle: BR, Astrid Ackermann
Das erste, was man nach ein paar Takten von "Jakob Lenz" hört, ist ein textloser Laut, ein "langgezogener tierhafter Schrei", wie Komponist Wolfang Rihm notiert. Das ist nur der Auftakt eines intensiven und emotional packenden Einakters mit Sänger Georg Nigl in der Titelpartie.
Wer die historische Person Jakob Michael Reinhold Lenz wirklich war, ist irrelevant an diesem Abend. Vermutlich litt der Zeitgenosse von Goethe an Schizophrenie und starb im Alter von nur 41 Jahren. Das Libretto von Michael Fröhling geht zurück auf die Lenz-Erzählung von Georg Büchner und konzentriert sich auf drei Personen: auf Jakob Lenz, den besorgten Pfarrer Oberlin und den Dichterfreund Kaufmann.
Im Grunde ist das Stück jedoch ein Monodram, die zwei Figuren neben Lenz nur Stichwort- oder Impulsgeber. Und sechs weitere Vokalisten reichen aus, um das Publikum für rund 80 Minuten in das psychische Erleben des rastlosen Dichters zu ziehen. Denn Lenz hört permanent innere Stimmen. Seine Unruhe kehrt sich nach außen, der Körper ist sein Resonanzraum. Bariton Georg Nigl ist eine fulminante Besetzung, verausgabt sich rückhaltlos und begeistert durch unübertreffliche stimmliche Präsenz. Er schreit oder flüstert, rast oder wimmert, kippt vom Singen ins Sprechen oder umgekehrt, produziert einfühlsam leise und verzweifelt laute Töne.
Mehr Kritiken und Hintergründe zu den Salzburger Festspielen finden Sie hier.
Auch wenn sich eigentlich alles im Kopf von Jakob Lenz alias Georg Nigl abspielt, sind daneben Bassbariton Damien Pass als Pfarrer Oberlin und Tenor John Daszak als Kaufmann starke und angemessene Partner. Im Orchester hat Rihm nur elf Instrumentalisten vorgesehen: drei Celli, Bläser, Schlagzeug und ein Cembalo. Die Musikerinnen und Musiker des französischen Ensembles "Le Balcon" spielen unter der präzisen Leitung von Maxime Pascal unglaublich differenziert und farbenreich. Dabei integriert Rihm in dieser Kammeroper ganz selbstverständlich und raffiniert Vergangenes, Anklänge an Madrigal- und Choralkompositionen, Rokoko-Reminiszenzen auf dem Cembalo oder ländliche Walzerassoziationen.
Dass Musik Unsagbares ausdrücken und damit "zur Sprache" bringen kann, ist ein gerne zitierter Allgemeinplatz und eine zutiefst romantische Auffassung. Doch bei der konzertanten Aufführung von Wolfgang Rihms "Jakob Lenz" wird dieses Phänomen ganz unmittelbar nachvollzieh- und erlebbar. Diese vor nun fast schon 45 Jahren geschriebene Kammeroper ist eine emotionale Wucht, der sich im Mozarteum wohl niemand entziehen kann. Äußerst vielfältig und zeitlos vermittelt sich die Musik nach wie vor, plastisch gestaltet und dramaturgisch großartig gesetzt. Eine szenische Inszenierung kann da auch mal außen vor bleiben. Stark ist die musikalische Erzählkraft auch so. Das Publikum kann andocken. Lange und stehende Ovationen. Zu Recht!
Sendung: "Allegro" am 28. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)