Der biblische Stoff ist etwas kompliziert. Weshalb Rossinis Oper lange eher ein Schattendasein fristete. Jetzt feiert "Semiramide" so etwas wie eine Renaissance - und begeistert auch bei den Tiroler Festspielen 2017 in einer Neuinszenierung.
Bildquelle: © Xiomara Bender
Die babylonische Königin Semiramide hat vor 15 Jahren gemeinsam mit ihrem Geliebten Assur ihren Ehemann vergiftet, wurde dafür damals aber - wie auf der Opernbühne nicht unüblich - nicht gerichtlich belangt. Seitdem regiert sie alleine; jetzt drängt sie der Oberpriester, einen Thronfolger zu bestimmen, der dann praktischerweise auch ihr neuer Ehegemahl werden würde. Ihre Wahl fällt, zum Erstaunen aller, nicht auf ihren Liebhaber, von dem sie sich entfremdet hat, sondern auf General Arsace. Der aber ist, was Semiramide nicht ahnt, ihr totgeglaubter Sohn.
Gioacchino Rossini hat sich 1823 für seine vorletzte Oper (danach folgte nur noch "Guillaume Tell"), einen komplizierten biblischen Stoff ausgesucht. Das Stück fristet ein Schattendasein auf den Opernbühnen, scheint aber eine Renaissance zu erleben: großen Erfolg hatte vor kurzem eine Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (mit der amerikanischen Mezzosopranistin Joyce DiDonato in der Titelrolle); weitere Opernhäuser - etwa London und Venedig - ziehen in nächster Zeit nach. Jetzt haben die Tiroler Festspiele Erl Rossinis "Semiramide" auf ihren Sommerspielplan gesetzt: Denn neben dem vielen Wagner frönt Intendant und Dirigent Gustav Kuhn gern auch dem italienischen Belcanto.
Bildquelle: © Xiomara Bender Wieviel muss man vom Inhalt einer Oper verstehen, um sie sich mit Genuss anhören und anschauen zu können? Diese Frage ist nach diesem Abend in Erl nicht leicht zu beantworten. Die Geschichte ist verworren - und die Inszenierung nimmt einen nicht wirklich an der Hand. Es beginnt verheißungsvoll: Der Oberpriester ruft das Volk zusammen und auf die Bühne traben im Gleichschritt vier Zehnergrüppchen, die sich immer wieder anders formieren. Gleichgeschaltete, entindividualisierte Untertanen. Da könnten sich viele Regisseure abschauen, wie man einen Chor führt. Großartig.
Furore di Montegral heißt das Regiekollektiv, das hier in Erl seine Visitenkarte abgibt. Eine Frucht von Gustav Kuhns toskanischer Akademie, aus der er auch immer wieder großartige Sänger hervorzaubert. Wer Rossinis "Semiramide" auf die Bühne stellen will, braucht koloraturfähiges Sängermaterial in allen Stimmlagen. Das hat Gustav Kuhn: Giovanni Battista Parodi, mit lilafarbenem bodenlangen Mantel und zweifarbigem Haar nach Irokesenart, gibt dem einst geliebten und jetzt geschmähten Liebhaber Assur ein klangschönes und bewegliches Bassfundament. Und Tenor Jin Hui, zurechtgemacht als eine Mischung aus schwarzhaarigem Liberace (nur ohne Hermelinmantel) und einer der Jacob Sisters (nur ohne Hund), schickt als Prinz Idreno seine Spitzentöne mit einer Selbstverständlichkeit und Akkuratesse in den Tiroler Himmel, als hätte er bei Juan Diego Flores studiert, dem er übrigens im Timbre ähnelt. Das überaus junge Festspielorchester glänzt, begeistert und überwältigt einmal mehr.
Leider lässt uns die Regie im Verlauf dieses fünfstündigen Abends ein bisschen im Stich: Auftritt, Arie, Abgang. Und von der anfangs versprochenen Ironie und vom Witz bleibt nicht mehr viel. Da wird dann nur noch diese komplizierte Geschichte erzählt. Und auch der Chor bewegt sich irgendwann so wie in anderen Produktionen auch. Schade. Aber er singt, Damen wie Herren, mit einer unglaublichen Präzision und Leuchtkraft.
Bildquelle: © Xiomara Bender Handlungsort ist ein schon etwas abgewrackter Palast: Da blättert an einigen Stellen das Gold von der Wand. Die längst fällige Renovierung steht für noch nicht abgearbeitete Vergangenheit. Man wohnt, trotz aller Pracht, doch recht einfach - auf weißen Steinstufen. Verschiebbare Wände grenzen den Spielort immer wieder ein. Und neben roter Rosenpracht in den hängenden Gärten unserer Titelheldin sehen wir viel Verblühtes. Dass Arsace in der letzten Szene statt Assur versehentlich seine Mutter tötet, verwundert nicht: in der unübersichtlichen Grabkammer ist es schlicht zu dunkel. Und dabei hat man doch in einigen Szenen dieser Inszenierung mit dem Licht geradezu magische scherenschnittartige Wirkungen erzeugt.
Svetlana Kotina prunkt als Arsace mit sattem Mezzo, der allerdings in den Ensembles unerklärlicherweise des Öfteren untergeht. Das vokale Glanzstück der Aufführung ist der wunderschön geführte und in den Koloraturen edel glitzernde Sopran der Bulgarin Maria Radoeva. Was bei beiden Damen, die von Lenka Radecky fabelhaft eingekleidet wurden, ein bisschen fehlt: die letzte Hingabe an die Rolle, die vokale und schauspielerische Entäußerung. Der Schmerz, die Leidenschaft, das Entsetzen, das Glück. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Eine weitere Aufführung der Rossini-Oper in Erl gibt es am 21. Juli im Festspielhaus.
Sendung: "Piazza" am 08. Juli 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK