Simon Rattle übernimmt im September 2017 das Amt des Chefdirigenten beim London Symphony Orchestra. Bei der Vorstellung seiner ersten Saison hat er auch über seinen Traum von einem neuen Konzertsaal gesprochen - doch wann der kommt, ist weiter unklar.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Simon Rattle, der vor wenigen Tagen seinen 62. Geburtstag feierte, wechselt im September von der Spree an die Themse. Er freue sich sehr darauf, in seinem Heimatland zu arbeiten, so der Dirigent. Allerdings führt Rattle von Sommer 2017 bis Sommer 2018 zwei Orchester parallel und macht damit genau das "Verrückte", was er sich geschworen hatte nie zu tun.
Das ist aber nicht die einzige Herausforderung. Rattle bedauerte bei der Vorstellung seiner ersten Saison in London, dass er im Barbican Centre, dem Stammhaus des London Symphony Orchestra, auf ein Fünftel seines Wunschrepertoires verzichten müsse. "Auf meiner Wunschliste stehen so viele Stücke, die dort einfach nicht funktionieren würden", beklagte Rattle. Moderne und groß besetzte Stücke - Rattle nennt als Beispiel Werke von Pierre Boulez und Hans Werner Henze oder das Requiem von Hector Berlioz - könnten dort nicht gespielt werden.
Wären die Musiker Tiere, dann würde die Tierschutzbehörde einschreiten.
Bildquelle: picture alliance/robertharding Das Barbican Centre wurde 1982 eröffnet und ist das größte Kultur- und Konferenzzentrum Londons. Laut Rattle hätten die Planer damals die Bühne nicht für ein großes Orchester angelegt und gewiss nicht, um zusätzlich mit einem Chor dort aufzutreten. Unter den beengten Verhältnissen würde es schlicht zu laut für die Musiker werden. "Wären die Musiker Tiere, dann würde die Tierschutzbehörde einschreiten", sagte Rattle, der schon lange für einen neuen Konzertsaal in London wirbt.
Selbst ein Dirigent versteht, dass diese Summe für wichtigere Dinge gebraucht wird.
Die Regierung unter David Cameron hatte für eine Machbarkeitsstudie zu einem neuen Saal rund 5,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings zog Theresa May nach dem Brexit-Votum diese Summe gleich wieder zurück. Damit wenigstens ein Business Plan erstellt werden kann, springt die City of London Corporation mit knapp drei Millionen Euro ein, wie sie Mitte Januar bekannt gab. Ein Neubau eines "Centre of Music" würde nach Schätzungen rund 325 Millionen Euro kosten - das sei zu viel in diesen Zeiten, gab Rattle selbst zu. "Selbst ein Dirigent versteht, dass diese Summe für wichtigere Dinge gebraucht wird", sagte der Brite. Und fügte hinzu, dass die 789 Millionen Euro teure Elbphilharmonie "keine gute Werbung" für sein Anliegen sei, auch wenn er sie als "überirdisch schön" bezeichnet.
Simon Rattle zeigte sich optimistisch, dass in London "ein neuer Konzertsaal von Weltklasse" gebaut werden wird. Aber man müsste sehen, was möglich sei und einen langen Prozess in Kauf nehmen. Außerdem müssten Alternativen zu einer alleinigen Finanzierung aus öffentlicher Hand gesucht werden.
Für Daniel Harding, der seine Karriere als Assistent von Simon Rattle begann und Erster Gastdirigent des London Symphony Orchestra ist, geht es um viel mehr als einen reinen Konzertsaal. "Ich glaube, die Vision ist nicht nur ein Gebäude mit einer super Akustik zu haben, sondern ein Zentrum für alle Menschen der Stadt und viel mehr noch ein Kulturzentrum mit vielen unterschiedlichen Angeboten", sagte Daniel Harding im Interview mit BR-KLASSIK. Für ihn ist die Philharmonie de Paris, die erst vor zwei Jahren eröffnet wurde, das ideale Vorbild dafür. Als musikalischer Leiter des Orchestre de Paris ist Harding mit diesem Haus fest verbunden. "Es kommen so viele Leute von überall da hin und fühlen sich zuhause", so Harding. Eine Philharmonie als Treffpunkt für alle - das wünscht sich Daniel Harding nicht nur für London, sondern auch für München: "Ich glaube, es ist sehr wichtig, wenn der Konzertsaal in München gebaut wird, dass man nicht nur über super Akustik und schöne Garderoben für Musiker redet. Da wird es um viel mehr gehen müssen."
Auch wenn das Centre of Music in London bisher nur Wunschdenken ist, sind Rattles Pläne für seine erste Saison als Chefdirigent des London Symphony Orchestras schon sehr konkret. Bei der Pressekonferenz in der britischen Hauptstadt offenbarte er, dass jede Saison der Rattle-Ära mit British Music beginnen solle, denn die britische Musik sei eine "Goldgrube", die er weiter erforschen wolle. Beim Antrittskonzert am 14. September beispielsweise werden ausschließlich Werke von Briten erklingen. Nämlich von Thomas Adès, Oliver Knussen, Harrison Birthwistle und der erst 35-jährigen Schottin Helen Grime, die eine Uraufführung beisteuert. "Wir haben hier wahrscheinlich mehr hochbegabte lebende Komponisten als in jedem anderen Land der Welt", schmeichelte Rattle seinen Landsleuten. "Es wäre idiotisch, das nicht zu feiern." Zudem kündigte er an, dass er jungen Menschen im teuren London mit Fünf-Pfund-Tickets Konzertbesuche ermöglichen wolle.