BR-KLASSIK

Inhalt

Sophie Pacini über Martha Argerich "Sie ist, als wäre sie 30!"

Am 5. Juni 2021 wird Martha Argerich 80 Jahre alt: eine lebende Legende, auch für ihre Kollegin, die Pianistin Sophie Pacini. 2010 spielte Pacini ihrem Idol vor. Seitdem verbindet die beiden eine enge Freunschaft – trotz des Altersunterschieds von mehr als 50 Jahren. Was sie an Argerich so schätzt, menschlich und musikalisch, verrät Sophie Pacini im Interview mit BR-KLASSIK.

Pianistin Sophie Pacini zusammen mit der Pianistin Martha Argerich zuhause | Bildquelle: © Privatarchiv Sophie Pacini

Bildquelle: © Privatarchiv Sophie Pacini

BR-KLASSIK: Ich habe irgendwo gelesen, Sie hätten schon als Kind Selbstgespräche mit Martha Argerich geführt. Können Sie sich noch erinnern, worum es da ging?

Sophie Pacini: Ja, da kann ich mich gut erinnern. Da ging es um das dritte Beethoven-Klavierkonzert. Ich hatte eine besondere Idee zum letzten Satz und habe ihn mit meinem Lehrer nicht so ganz d’accord gebracht. Martha spielte das aber genau so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich kannte ihre Aufnahme zuvor nicht und war dann natürlich ganz beseelt, dass sie das auch so machte. Dann habe ich mir in Gedanken Mut und Zuspruch von ihr geholt und habe das dann tatsächlich auch so gespielt.

Martha Argerichs Interpretation gewinnt

BR-KLASSIK: Sie haben also Martha Argerich gegen Ihren Lehrer ins Feld geführt?

Sophie Pacini: Richtig. Ich habe eine Motivation und irgendwo auch eine Argumentation dafür gebraucht. Für mich selbst war Martha Argerich die Argumentation für alles. Nachdem sie das auch so machte, gab es für mich keine größere Instanz mehr als sie. Ich habe damals bei Karl-Heinz Kämmerling studiert, der hatte natürlich auch wunderbare Ideen. Bei dieser waren wir uns aber eben nicht einig. Da hat dann Marthas Sichtweise, die mit meiner kongruent war, das Rennen gemacht.

BR-KLASSIK: Herr Kämmerling war da vielleicht nicht so begeistert...

Sophie Pacini: Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich im Unterricht gesagt habe: 'Ja, wissen Sie, Herr Kämmerling, Martha Argerich macht das auch so!' Und dann hat er nichts mehr dazu gesagt.

Ich hatte überhaupt keine Angst vor dieser Begegnung.
Sophie Pacini

BR-KLASSIK: Sie hatten ja dann auch den Traum, Martha Argerich persönlich zu begegnen. Das ist irgendwann dann Wirklichkeit geworden. Wie war das? Manchmal ist es ja so, dass es ganz schön ernüchternd sein kann, wenn sich ein Traum erfüllt.

Sophie Pacini: Ja, davor hatte auch mein gesamtes Umfeld ein bisschen Angst, weil ich mir das so sehr gewünscht hatte. Ich hatte aber überhaupt keine Angst vor dieser Begegnung. Meine Eltern natürlich schon, die dachten: Naja, wenn das dann nicht so läuft, wie sie sich das vorstellt, schmeißt sie dann vielleicht sogar hin oder so. Für mich war das in meiner Vorstellungskraft schon ein ganz großer Moment, ihr mal vorzuspielen. Als es dann durch einen reinen Zufall in Italien 2010 dazu kam, da war ich 18 Jahre alt, da war für mich keinerlei Angst zu spüren. Es war eher das Gefühl: Ich spiele um mein Leben, aber es ist der Moment, den ich mir so lange gewünscht habe. Und es hat sich genauso angefühlt, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Das heißt, irgendwo war diese Verbindung immer schon da.

BR-KLASSIK: Haben Sie sie im Hotel abgepasst oder nach einem Konzert?

Sophie Pacini: Ich habe sie im Hotel abgepasst. Wir waren in Pietrasanta – das ist ein kleines Örtchen in der Toskana. Da kommt mein Papa eigentlich her. Wir waren im Urlaub dort und sie haben dort gerade ein neues Festival aufgezogen, "Pietrasanta in concerto". Martha spielte das Eröffnungskonzert. Ich sah das Plakat und dachte mir: Das kann kein Zufall sein, das ist irgendwie Fügung. Nachdem meine Eltern keine Musiker sind, war es für meinen Papa sehr schwer, überhaupt jemanden zu finden, der etwas mit der Organisation des Festivals zu tun hat. Aber über drei verschiedene Ecken, den Trauzeugen meiner Eltern, den Bürgermeister und so, haben wir es dann geschafft, den Intendanten ausfindig zu machen. Er hat mich gebeten, im Hotel auf Martha zu warten und dort mein Glück zu versuchen.

Es hat sich angefühlt, als ob wir gleich atmen.
Sophie Pacini

BR-KLASSIK: Sie war auch nicht genervt?

Sophie Pacini: Sie war sehr schlechter Laune, weil sie noch üben wollte und die Woche danach bei den Salzburger Festspielen auftreten sollte. Der Tag lief nicht, wie sie das gerne wollte und war dann heillos entnervt, dass da noch jemand saß, der ihr vorspielen wollte. Als ich ihr dann auch noch sagte, dass es die Sonate in h-Moll von Franz Liszt sein sollte, da hat sie wohl endgültig gedacht: Die spinnt! Noch dazu kostet mich das jetzt eine schöne halbe Stunde.

Hollywoodreifes erstes Treffen

Hauskonzert mit Sophie Pacini im Schützenverein Altkirchen | Bildquelle: BR/Sebastian König Pianistin Sophie Pacini | Bildquelle: BR/Sebastian König Sie hat sich irgendwann doch breitschlagen lassen und so aufmerksam zugehört wie möglich. Ich habe genau durch den Augenwinkel betrachten können, dass sie bei schwierigen Passagen, nicht nur technisch, sondern auch was die Länge der Phrase und die musikalischen Dinge angeht, sehr genau hingeschaut hat. Es hat sich angefühlt, als ob wir gleich atmen. Ich weiß noch, dass mir zuerst das Herz bis unter die Zunge schlug, aber das hat sich in Energie umgewandelt. Nachdem ich gespielt habe, stürmte sie auf mich zu, hat mich ganz fest gedrückt und sagte: 'Du bist großartig, weißt du das? Sei veramente bravissima!' Mir liefen die Tränen über die Wange, weil das für mich einfach ein Moment war, den ich mir exakt so immer gewünscht habe. Als er dann so stattfand, war das reif für Hollywood. Wir sind dann auch noch auf den Marktplatz gegangen und haben zusammen eine Cola getrunken. Mein Vater hatte mich begleitet, weil er sicher gehen wollte, dass es mir gut geht. Als er uns dann herausspazieren sah – sie hatte mich untergehakt – hat er sich gedacht, er sei im Film. Mittlerweile spielen wir ja auch im Duo zusammen. Das war übrigens ihre Idee. Vielleicht ist die Basis unserer Freundschaft, dass ich mich nie an sie 'rangewanzt' habe.

BR-KLASSIK: Sie spielen mit ihr, Sie treten mit ihr auf: Wie ist das? Spielen Sie anders, wenn sie mit Martha Argerich spielen?

Sophie Pacini: Nein, es beflügelt mich noch viel mehr, ich selbst sein zu dürfen. Und teilweise auch mit sogenannten schulischen Konventionen zu brechen. Das war immer auch Teil meiner Ausbildung, dass dieses 'das spielt man so' irgendwann verschwindet, weil ich gesagt habe: Ich fühle das so, argumentiere musikalisch und möchte es dann auch so darstellen. Immerhin geht es um meine Interpretation. Ich muss ja eine eigene Handschrift haben und das ist das, was Martha Argerich so ausmacht. Letztlich ist sie so überzeugend, dass sie einfach nur so sein kann, auch wenn man vielleicht nicht einverstanden sein mag. Ich weiß, dass es in der Vergangenheit auch viele Kritiker von Martha Argerich gab, aber du sitzt vor ihrem Spiel und sagst: Es ist einfach großartig und es berührt unmittelbar.

Spiel auf Augenhöhe

BR-KLASSIK: Ein totales Einverständnis. Gibt es da auch eine kritische Note von Ihrer Seite?

Sophie Pacini: Sie gibt nicht gerne Einsätze. Das heißt, dass ich sie geben muss. Ich muss ehrlich gestehen, dass es für mich noch eine Überwindung ist, einfach zu sagen: 'Martha, jetzt pass auf: So geht’s los!' oder: 'Hier, das machen wir so.' Sie fragt mich auch: 'Was wollen wir hier machen?' Am Anfang war es für mich ein bisschen schwierig, zu sagen: 'Ich würde sagen, wir machen hier ein Crescendo. Was meinst du?' Es ist ja nach wie vor Martha Argerich. Sie macht da aber überhaupt keine Unterschiede. Sie nimmt sich sehr zurück und ist teilweise sogar unsicher, was Phrasierungen angeht. Sie gibt damit auch ihrem Partner die Option, eigene Ideen einzubringen. Man findet dann einen Konsens. Es ist wirklich ein Zusammenfinden.

Sie kommt in einen Raum und kann genau sagen, was vorher war.
Sophie Pacini

BR-KLASSIK: Sie würden sagen, das Besondere an ihrer musikalischen Persönlichkeit ist ihre Offenheit oder ihre Kritikfähigkeit?

Sophie Pacini: Es ist vor allem auch ihre Fähigkeit, auf jeglichen Partner einzugehen. Sie spürt das im Vorhinein. Sie weiß genau, wie du spielen wirst, bevor du gespielt hast. Das heißt, sie hat einfach diese Intuition, diese Voraussicht und diese Hochsensibilität, Dinge sofort zu erfühlen. Das ist auch bei Stimmungen so. Sie kommt in einen Raum und kann genau sagen, was in dem Raum vorher war oder wie es dem Menschen geht, dem sie gerade gegenübersitzt. Das fällt zum Beispiel besonders auf, wenn sie einen Witz oder etwas Lustiges erzählt und ihr Umfeld lacht. Sie beobachtet dich ganz genau, wie du lachst. Lachst du ehrlich, lachst du, um ihr zu gefallen, oder lachst du einfach aus Verlegenheit?

Altersunterschied spielt keine Rolle

BR-KLASSIK: Also eine Freundschaft über zwei Generationen hinweg, die anscheinend für die Musik und für Sie beide als Persönlichkeiten keine Rolle spielen.

Sophie Pacini: Nein, letztens sagte sie so zu mir: 'Du bist mehr als fünfzig Jahre jünger!' Und dann haben wir beide so gelacht. Martha hat ja auch so eine unglaublich glatte Haut und so ein wahnsinnig junges Auftreten. Ich meine: Sie wird achtzig. Man kann sich das nicht vorstellen. Sie ist, als wäre sie dreißig, als wäre sie vierzig. Auch die Art wie sie denkt, ob sie zum Beispiel mit den Trends der Mode geht. Das ist genau dasselbe. Sie liest gerne Klatschzeitschriften oder Modezeitschriften, aber auch musikalisch tiefgründige Bücher oder sie liest philosophische Inhalte. Für sie ist das alles eins und sie altert nicht. Ich habe auch zu ihr gesagt: 'Martha, du bist für mich einfach zeitlos.' Ich kann mit ihr über alles sprechen wie mit einer besten Freundin, aber ebenso auch fragen, als wäre sie meine Großmutter.

Sendung: "Leporello" am 4. Juni 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player