Wenn Sir Simon Rattle ab Herbst Chefdirigent beim BRSO ist, möchte er erstmal Land und Leute kennenlernen. Und dafür lädt er bayerische Blaskapellen zum Symphonischen Hoagascht ein. Im Interview mit BR-KLASSIK verrät Projektbegleiter und Trompeter Dominik Glöbl, warum er jetzt schon Gänsehaut bekommt, wenn er an den Hoagascht denkt.
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BR-KLASSIK: Dominik, kannst Du uns kurz erklären, was ein Hoagascht ist, beziehungsweise was er vielleicht einmal war?
Dominik Glöbl: Hoagascht ist ein schönes bayerisches Wort, und es bezeichnet eigentlich einen Hoagartn, also den Garten vor dem Wirtshaus, wo man sich früher getroffen und miteinander Bier getrunken hat. Und da ja früher noch viel mehr Hausmusik gemacht worden ist, haben die Menschen einfach die Instrumente mitgenommen und ein bisschen musiziert. Und so ist das Wort Hoagascht entstanden und immer noch bei uns im Gebrauch.
In Kooperation mit dem Bayerischen Blasmusikverband lädt das BRSO Blasmusik-Ensembles aus ganz Bayern zum gemeinsamen Musizieren ein. Bewerben Sie sich und seien Sie dabei, wenn Sir Simon Rattle und rund 300 Musiker:innen aus ganz Bayern auf der Bühne stehen! Gegenseitige Besuche, gemeinsame Sessions und das großes Abschlusskonzert sind Teil des einjährigen Projekts, bei dem Laien und Profis aus allen Generationen und aus ganz Bayern zum gemeinsamen Musizieren zusammenkommen werden. Hier finden Sie mehr Infos.
BR-KLASSIK: Auf der Website des BRSO ist zu lesen: "Simon Rattle ist neu in Bayern und möchte Land und Leute kennenlernen – und zwar durch das, was er am liebsten macht: Musik". Die Einladung an die Blasmusik ist also vom Symphonieorchester ausgegangen.
Dominik Glöbl: Ich glaube, die generelle Idee kommt von Sir Simon Rattle selbst, der ja, wenn er wohin kommt, die Musikkultur kennenlernen will. Und die Musikkultur Bayerns ist stark geprägt von der Blasmusik. Und auch viele Musiker des BRSO sind in der Blasmusik groß geworden, haben dann studiert und sind dann später ins Symphonieorchester gewechselt. Und das weiß Sir Simon Rattle. Ihm war das ein Anliegen, dass man diese Kultur kennenlernt, wo viele Musiker verwurzelt sind, und da eine Symbiose schafft mit symphonischer Musik.
BR-KLASSIK: Volksmusikensembles können sich für den Hoagascht bewerben. Einsendeschluss ist der 26. Mai 2023. Du wirst das Projekt begleiten. Wie geht es nach dem Bewerbungsschluss weiter?
Symphonischer Hoagascht des BRSO | Bildquelle: BR Dominik Glöbl: Da gibt es eine Jury, die diese Bewerbungen sichtet und dann auswählen wird, welche Musikgruppen in Frage kommen, die dann nächstes Jahr ein großes Konzert zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks geben dürfen. Das muss man sich mal vorstellen: Wir hier in den Blaskapellen und Sir Simon Rattle! Der ist ja schon ein Begriff in der Musikszene der Welt: Berliner Philharmoniker, London und jetzt bei uns in Bayern. Und man darf mit diesem Mann und mit dem BRSO, das zu einem der weltbesten Orchester gehört, auf der Bühne stehen, als Blasmusiker! Also da krieg ich gleich Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke! Das wird ein Moment sein, an den man sich gern erinnern wird.
BR-KLASSIK: Kann sich da die eine Truppe von der anderen was abschauen?
Dominik Glöbl: Ganz bestimmt! Ich glaube, dass sich die Blasmusik natürlich vom Symphonieorchester diese Hochkultur, dieses perfekte Miteinander-Musizieren abschauen kann. Wie man sich vielleicht auch auf schwierige Stellen vorbereitet, wie man mental stark ist, dass man so etwas machen kann. Solche Dinge kann man sich im Gespräch abschauen. Und dann dürfen die Trompeten einfach auch zum Beispiel mit dem Solo-Trompeter Martin Angerer reden, den sieht man sonst ja auch nie! Und auf der anderen Seite können sich die symphonischen Musiker ja auch was von der Blasmusik abschauen in Bezug auf: wie man miteinander Spaß hat. Die haben natürlich auch Spaß, aber es ist im klassischen Konzert nicht gewünscht, dass man so sehr aus sich rausgeht.
BR-KLASSIK: Dominik, Dich kennt man als Trompeter und auch Sänger gleich mehrerer Bands. Man kennt Dich als Moderator im BR Fernsehen. Wie schaut denn Dein musikalischer Hintergrund aus?
Dominik Glöbl mit seiner Band "Dreiviertelblut" | Bildquelle: Gabriela Neeb Dominik Glöbl: Also, ich bin in der Blasmusik groß geworden. Ich habe Trompete gelernt mit 13 Jahren und bin dann in die örtliche Blaskapelle marschiert und habe da alles mitgebracht: Fuchsgraben-Polka und Vogelwiese, das volle Programm. Und dann habe ich den Jazz für mich entdeckt, und ich habe in München an der Hochschule Jazztrompete studiert und dann auch noch ein Jahr in Frankfurt und bin über diesen Weg dann zu meiner jetzigen Gruppe, zu Dreiviertelblut, gekommen, wo beide Aspekte eine große Rolle spielen. Sowohl improvisierte Musik als auch bayerisches Herzblut, bayerische Sprache, bayerische Musikkultur.
BR-KLASSIK: Weißt Du denn, ob Sir Simon Rattle auch daran interessiert ist, die bayerische Sprache zu erlernen?
Dominik Glöbl: Eine schöne Frage. Wir werden sicherlich darauf hinwirken, dass es bei diesem großen Konzert nächstes Jahr ein paar bayerische Wörter geben wird. "Oachkatzlschwoaf" muss es jetzt nicht sein, aber "oans, zwoa, drei, vier" oder sowas.
Kommentare (1)
Dienstag, 09.Mai, 13:45 Uhr
Klaus
Gute Aktion von Rattle
Ich bin nicht der größte Bewunderer des Dirigenten Rattle (seine Ära bei den Berliner Philharmonikern war in künstlerischer Hinsicht mMn eher durchwachsen), aber das ist eine gute Aktion.
Ein Orchester ist immer in einer konkreten Landschaft verwurzelt und wird von den Einwohnern derselben finanziert. Deshalb ist es sehr richtig, auf die Menschen und ihre Volkskultur zur Amtseinführung zuzugehen.
Ich hoffe, dass Rattles Wirken in Bayern segensreich in diesen "schwierigen" (ein ziemlich euphemistisches Adjektiv) Zeiten sein wird. Seine Aufnahme von Mahler 9 war schon ein sehr vielversprechender Auftakt.