Igor Strawinskys Oper eilt ein schlechter Ruf voraus: Sie gilt als musikalisch dröge. Dabei ist die Moritat vom Aufstieg und Fall eines Tunichtguts ein süffiger Stoff. Optisch wurden die Erwartungen mehr als übertroffen, trotzdem war es die Hölle.
Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater
Vielleicht sollte man sich doch mehr in Acht nehmen vor einem Sechser im Lotto. Könnte nämlich sein, dass der Millionengewinn direkt in die Hölle führt, vor allem dann, wenn der Spieler nichts sehnlicher wünscht, als mühelos reich zu werden. So ähnlich beginnt jedenfalls die "Karriere eines Wüstlings" nach der berühmten und sehr populären Kupferstich-Serie von William Hogarth aus dem frühen 18. Jahrhundert.
Da erbt ein lässiger, gutaussehender Typ vom Lande, der nicht besonders scharf auf Arbeit ist, plötzlich ein Vermögen und bringt es innerhalb kürzester Zeit in Kneipe und Bordell durch, bis er erst im Schuldgefängnis und dann im Irrenhaus landet. Der Dichter Wystan Hugh Auden bereitete den Stoff für die Oper auf, Igor Strawinsky komponierte die Musik dazu, leider nicht seine beste. Die Uraufführung 1951 in Venedig wurde eher kühl aufgenommen, was auch an dramaturgischen Schwächen lag. Immer wieder tritt die Handlung auf der Stelle, etwa bei einer viel zu langen Versteigerungsszene.
"The Rake´s Progress" könnte eine süffige Moritat sein von Aufstieg und Fall eines liebenswerten Schurken, ganz in der Manier von Mackie Messer in der "Dreigroschenoper", mit einer Brise "Faust" und fein abgeschmeckt mit britischem Humor. Stattdessen verliert sich Strawinsky in ziemlich öden, neoklassizistischen Zitaten aus Barock und Rokoko, was seine Oper einförmig, monoton und insgesamt recht dröge macht, denn der Esprit des 18. Jahrhunderts fehlt völlig.
Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Der Komponist verstand sich eher weniger auf abendfüllende Werke, womöglich hätte er über das Thema besser ein kürzeres Ballett wie den "Feuervogel" geschrieben. Wer über diese musikalische Schwäche hinweghören will und kann, bekommt im Münchner Gärtnerplatztheater allerdings eine Inszenierung geboten, wie sie besser nicht sein könnte. Ja, der Londoner Regisseur und Choreograph Adam Cooper entfacht mit seinem Bühnenbildner Walter Vogelweider und seinem Kostümdesigner Alfred Mayerhofer einen Bildersturm, der zu einer Revue von Bert Brecht und Kurt Weill passen würde.
Da ist viel Satire im Spiel, wenn der titelgebende Held mit seiner Liebsten und einer Gitarre auf Heuballen turtelt und davon träumt, sein Leben der Glücksgöttin Fortuna zu widmen, die schon für das nötige Kleingeld sorgen werde. Prompt erscheint ein Gönner, der das alles ermöglicht und Tom Rakewell durch "die kleine und die große Welt" schleppt, wie es bei Goethe heißt. Drogen, Sex und schnelle Autos dominieren das Leben des Wüstlings, der im Glitzerlook unterwegs ist und allerlei Nippes anhäuft.
Seine Jugendliebe bleibt zurück – und erweist sich am Ende als rettender Engel, der dem Wüstling auf den letzten Glockenschlag doch noch die Hölle erspart. Das ist hipp anzuschauen und lebt vom grellen Trash, wie er einer derart einprägsamen Fabel zukommt. Kupferstecher Hogarth wusste schon, wie er seine Werke unters Volk bringt, und diese kunterbunte Erbauungs-Show am Gärtnerplatztheater steht dem in Nichts nach.
Der ungarische Tenor Gyula Rab wirft sich mit Verve in die Titelrolle, der kroatische Bariton Matija Meić ist ein recht robuster Mephisto, die griechische Mezzosopranistin Anna Agathonos gibt die bärtige Frau, die hier als Sinnbild der Verworfenheit und Übersättigung auftritt. Mária Celeng ist als Mädchen vom Lande so aufrichtig wie bieder. Das sind ja alles keine Personen, sondern Allegorien, da kann das holzschnittartige, überdrehte Spiel nicht schaden. Ab und zu lassen sich tanzende Höllengeister blicken, die sich bereits ausgelassen auf die Seele des Wüstlings freuen.
Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Begleitet wird das Ganze vom polnisch-italienischen Dirigenten Rubén Dubrovsky und Darijan Ivezić am Cembalo, der die Dialoge begleitete, denn Strawinsky wollte es absichtlich altmodisch haben, wie bei seinem Vorgänger Mozart.
Optisch ist das üppiger Bilderbogen, musikalisch eine zähe Angelegenheit, in dieser Kombination hat der knapp dreistündige Abend alle Vorurteile gegen "Rake´s Progress" bestätigt. Der eine oder andere Zuschauer nickte vor allem vor der Pause ein, gleichwohl war der Jubel am Ende verdientermaßen groß. Gerade ein Staatstheater muss eben auch immer wieder den Mut zum Schwierigen und Sperrigen haben. Und reich werden ist ja auch im echten Leben keineswegs immer ein Vergnügen, sondern nicht selten ein Fluch. Oder, wie es hier vorgeführt wird, eine Art Zwangsjacke.
Sendung: "Piazza" am 8. Oktober 2022 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 09.Oktober, 11:49 Uhr
Carola
Spielplan
Zu bemerken wäre hier auch gewesen, dass bereits die Premiere sehr schwach besucht war. Natürlich muss sich ein Staatstheater auch einem sperrigen Werk stellen. Aber ob man dann in einer Saison auch noch einen Werther und Luisa Miller als postpandemisches Kassengift braucht?