BR-KLASSIK

Inhalt

Dirigentin Marie Jacquot beim BRSO "Ich bin ein großer Strauss-Fan"

Sie ist erst 32 Jahre alt, kommt aus Paris und startet gerade so richtig durch: Die Dirigentin Marie Jacquot debütiert in dieser Woche beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit einem spannenden Programm. BR-KLASSIK überträgt das Konzert am Freitag live im Radio und im Video-Stream.

Marie Jacquot | Bildquelle: © Christian Jungwirth

Bildquelle: © Christian Jungwirth

BR-KLASSIK: Frau Jacquot, Sie debütieren jetzt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wie war die erste Probe?

Marie Jacquot: Wunderschön. Ich habe gleich gemerkt bei so einem Stück wie der Zweiten Symphonie von Richard Strauss, dass die Musikerinnen und Musiker bei Strauss zuhause sind, natürlich sind sie mit seinem Klang und seiner Musiksprache vertraut. Das spürt man beim Dirigieren, denn sie spielen schon sehr, sehr kompakt, sehr warm. Sie haben einen wahnsinnig tollen, wunderschönen, tiefen Klang, was am Anfang etwas ungewohnt ist, weil sie sehr spät nach dem Schlag spielen. Aber ich liebe das, und ich freue mich, wenn das passiert, denn das heißt: Sie lieben den Klang und wollen einen schönen Klang produzieren.

BR-KLASSIK: Würden Sie als Französin einen leichteren Klang favorisieren?

Marie Jacquot: Nein, bei diesem Stück auf keinen Fall. Ich versuche immer, abhängig vom Stück den richtigen Klang zu finden. Natürlich würde ich Debussy nicht so musizieren. Aber für diese Zweite Symphonie von Richard Strauss ist es absolut passend. Ehrlich gesagt, fühle ich mich nicht wirklich als Französin oder Österreicherin, weil ich in Österreich wohne oder dort studiert habe, sondern mehr als Europäerin. Die Musik ist so unendlich vielfältig: Jeder Komponist hat seine eigene Sprache und seinen eigenen Klang. Und ich versuche mit jedem Orchester, sei es französisch oder deutsch, den Klang des Komponisten zu finden.

Marie Jacquot beim BRSO

Das Konzert am 7. Oktober 2022 im Münchner Herkulessaal mit David Hornes "The Turn of the Tide", Edward Elgars Cellokonzert e-Moll, op. 85 und Richard Strauss' Symphonie Nr. 2 f-Moll überträgt BR-KLASSIK ab 20:05 Uhr live im Radio und im Video-Stream.

Das BRSO spielt Unbekanntes von Richard Strauss

BR-KLASSIK: Wie sind Sie denn überhaupt auf diese Zweite Symphonie in f-Moll von Richard Strauss gekommen?

Marie Jacquot: Erst einmal muss man dazu sagen, dass ich ein großer Strauss-Fan bin. Ich liebe Richard Strauss, seine Opern und seine Tondichtungen sind fantastisch. Ich habe aber großen Respekt vor ihm – er ist wahrscheinlich der Komponist, von dem ich noch am wenigsten dirigiert habe. Deshalb wollte ich mit seinen frühen Werken anfangen. Und da ich leider nicht die Chance habe, Kammermusik machen zu können, habe ich eben nach früher Orchestermusik von Strauss gesucht. Auf seine Zweite Symphonie bin ich zufällig gestoßen, und sie hat mich sehr beeindruckt. Er war zwanzig Jahre alt, als er das Stück geschrieben hat. Man spürt zwar, dass er noch stark der Tradition verbunden ist, aber man bemerkt auch sein Genie, dass er als Komponist ein Ausnahmetalent war. Der trotzdem versucht hat, seine eigene Sprache zu entwickeln. Und das gefällt mir, wenn Komponisten oder Künstler nicht nur Neues schaffen wollen, sondern aus der Tradition heraus ihre eigene Sprache entwickeln.

BR-KLASSIK: Dieses Stück ist ja eine monumentale Talentprobe, es dauert eine Dreiviertelstunde – da ist es wahrscheinlich schwierig, die Spannung zu halten?

Marie Jacquot: Ja, vor allem für die Konzentration, für die großen Bögen und auch für das Orchester ist es eine Herausforderung. Das Stück ist natürlich noch ziemlich dick orchestriert, während er sich dann später sehr verfeinert hat. Es ist von jugendlichem Übermut, er wollte wahnsinnig viel zeigen – und das kann manchmal etwas schwer zu ertragen sein. Aber ich versuche durch flüssigere Tempi, das Stück etwas leichter machen.

BR-KLASSIK: Diese Zweite Sinfonie von Richard Strauss hat übrigens auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks noch nie gespielt. Seine Erste Symphonie haben sie mal mit Karl Anton Rickenbacher auf CD aufgenommen, aber die Zweite Symphonie ist auch für das Orchester neu.

Marie Jacquot: Ja, das ist interessant, aus meiner Perspektive finde ich es ein bisschen ungerecht, denn ich mag das Stück sehr. Komisch, ich habe es schon zweimal gemacht, mit zwei verschiedenen Orchestern, eines davon hatte es 1998 zuletzt gespielt – zum ersten und letzten Mal (lacht). Ich hoffe aber durch diese Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester und die Aufzeichnung durch BR-KLASSIK, dass das Stück ein bisschen bekannter wird.

VERSUCH, DAS SCHRECKLICHE ZU VERGESSEN

BR-KLASSIK: Umso bekannter ist das Solokonzert des Abends, nämlich das späte Cellokonzert von Edward Elgar. Ich finde, es passt sehr gut in unsere Zeit: Es ist ein unsagbar trauriges, elegisches Stück – Elgar hat es direkt nach Ende des Ersten Weltkriegs komponiert.

Marie Jacquot: Ja, es ist sehr melancholisch, aber auch spielerisch, was man vielleicht als Versuch werten kann, zu vergessen, was davor an Schrecklichem im Krieg passiert ist, es geht sehr in die Tiefe. Elgar war übrigens ein großer Bewunderer von Richard Strauss, das trifft sich gut in unserem Programm mit ihrer ähnlichen musikalischen Sprache. Auch unser erstes Stück, "The Turn of the Tide" des schottischen Komponisten David Horne, schlägt eine Brücke zu Elgar und Strauss – ich wollte zum Auftakt ein neues Werk präsentieren, das aber nicht so extrem, sondern farbenfroh und zum Teil romantisch geschrieben.

BR-KLASSIK: Als Solisten in Elgars Cellokonzert haben Sie mit dem französischen Cellisten Gautier Capuçon einen der besten an Ihrer Seite – mit ihm können Sie ja Französisch sprechen.

Marie Jacquot: Ja, das können wir. Ich hoffe aber, dass wir bei Elgar keine französische Klangsprache „sprechen“ werden, denn der englische Musikstil ist doch ein bisschen anders. Wir sind schon vor ein paar Monaten mit dem Ersten Cellokonzert von Schostakowitsch zusammengekommen – und es hat sofort gefunkt. Er ist ein toller Musiker und ein sehr angenehmer Mensch. Und ich freue mich sehr, mit ihm wieder musizieren zu dürfen.

HOHER KALORIENVERBRAUCH BEIM DIRIGIEREN

BR-KLASSIK: Sie sind BR-KLASSIK eng verbunden durch Ihren großen Motivations-Podcast "Dein Weg. Dein Ziel", den Sie im vergangenen Jahr mit der Bahnrad-Sportlerin Miriam Welte produziert haben. Das ist jetzt schon eine Weile her – wie sehen Sie das Projekt im Nachhinein?

Marie Jacquot: Das war eine ganz große und tolle Erfahrung, nämlich die Möglichkeit, in die Welt einer Olympiasiegerin einzutauchen. Natürlich bin ich als ehemalige Profi-Tennisspielerin damit vertraut, was für eine gewaltige Herausforderung es bedeutet, Sportlerin zu sein. Aber auch Künstler, Musiker, Dirigent oder Dirigentin zu sein. Ich habe sehr viele Gemeinsamkeiten entdeckt und mich an viele Erfahrungen erinnern müssen, als wir diese Brücke zwischen Musik und Sport geschlagen haben. Und es war auf jeden Fall eine Bereicherung, mit anderen Menschen, die andere Arbeit leisten und eine andere Perspektive haben, kommunizieren und mich austauschen zu können.

Der psychische Aspekt beim Dirigieren ist das Anstrengendste

BR-KLASSIK: Dirigieren verlangt ja auch eine gute Kondition, sowohl körperlich, aber natürlich auch mental?

Marie Jacquot: Ja, das kann man wohl sagen! Körperlich klar, wenn man anderthalb Stunden auf der Bühne steht für eine Bruckner-Sinfonie oder für einen ersten Akt aus einer Wagner-Oper – die ganze Zeit die Arme heben zu müssen, manchmal das Tempo anziehen, das Orchester antreiben oder die Bühne zusammenhalten zu müssen, das ist physisch und körperlich anstrengend. Aber das Anstrengendste für mich ist der psychische Aspekt, denn wir befinden uns immer gleichzeitig auf drei Zeitebenen. Wir sind in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Wir müssen uns erinnern, was das Orchester gerade gespielt hat, und an die Zukunft denken – wir sollten unseren Visionen vorausdirigieren. Und diese Spange, die uns permanent in diese drei Zeitebenen treibt, ist sehr anspruchsvoll für das Gehirn. Ich glaube, ich verliere dadurch mehr Kalorien als durch das Dirigat selbst (lacht). Ich habe irgendwo gelesen, dass Schachspielen – das ist doch auch ein Sport, oder? – am meisten Kalorien verbraucht. So ist das auch beim Dirigieren.

WENIGER IST MEHR

BR-KLASSIK: Worin besteht für Sie denn die Kunst des Dirigierens? Ich denke jetzt mal an Lorin Maazel, der übrigens auch ein hervorragender Tennisspieler war, der ganz kleine, elegante, präzise Bewegungen machte, oder Bernard Haitink, als er sehr alt war, dann auch. Und dann gibt es natürlich andere wie Andris Nelsons oder Christian Thielemann, die ihr Temperament am Pult voll ausagieren. Wieviel Körpereinsatz favorisieren Sie beim Dirigieren?

Marie Jacquot: Das ist bei mir sehr Stück-abhängig, Und ich tendiere dazu, das in Zukunft eher zu reduzieren. Also je weniger, desto besser. Viele Dirigenten sagen – und ich teile diese Meinung natürlich –, unser Job sei, das Orchester nicht zu stören. Aber wir sollten dem Orchester auch etwas Anderes vermitteln – und mit dem „Nicht stören“ kommen wir nicht dahin, wo wir hingehen sollten. Und da kommt dann der körperliche Einsatz ins Spiel. Ich war ja selbst auch Musikerin, habe viel im Orchester gespielt. Ich war immer gespalten, wenn ein Dirigent zu viel Körpereinsatz gezeigt hat, weil er mir keinen Raum gelassen hat, selbst zu musizieren. Am besten ist eine gute Balance zwischen beiden Polen: das Orchester spielen zu lassen und gleichzeitig zu motivieren.

BR-KLASSIK: Jetzt kommt ein ganz großer Karrieresprung für Sie, aber es dauert noch ein bisschen: 2024 werden Sie Chefdirigentin an der Königlichen Oper in Kopenhagen. Das war wohl Liebe auf den ersten Blick oder besser gesagt: auf den ersten Ton?

Marie Jacquot: Richtig, das war ganz überraschend. Wir haben einmal zusammen musiziert – und wie man sagt in unserem Dirigier-Jargon: Die Chemie hat sofort funktioniert. Und wenn die Chemie stimmt, dann ermöglicht das eine sehr schöne, intensive Zusammenarbeit. Wir haben lange diskutiert und uns darauf geeinigt, dass wir diese Zusammenarbeit vertiefen wollen. Und ich freue mich schon sehr auf diese neue Aufgabe. Jetzt habe ich zwei Jahre freischaffend Zeit, meine Arme und meinen Rücken fürs Dirigieren zu trainieren, um dann in Kopenhagen nach Hause zu kommen und dort meine Erfahrungen zu teilen.

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player