Isolde, das erste gemeinsame Kind von Richard Wagner und Cosima von Bülow war eigentlich das, was man Lieblingstochter nennt. Eva Rieger zeigt mit vielen spannenden Quellen, warum sie trotzdem zur tragischen Figur wurde, die ein recht unglückliches Leben führte –oder führen musste.
Bildquelle: Suhrkamp | Insel
Isolde, das erste gemeinsame Kind von Richard Wagner und Cosima von Bülow, war ein Sonntagskind: aufgeweckt und heiter. Sie konnte sehr gut zeichnen, entwarf als Kind schon Kostüme fürs Puppentheater, später sogar für die Festspiele in Bayreuth, sprach mehrere Sprachen fließend, spielte hervorragend Klavier und hätte auch als Sängerin Karriere machen können.
Durch ihre Eltern erhielt Isolde eine enorme künstlerische Bildung und dennoch hinderte ihre Mutter sie erfolgreich daran, sich selbst zu verwirklichen. Denn Frauen sollten sich nicht öffentlich beruflich betätigen, meinte sie, und was Cosima meinte, war nach dem Tod Richards Gesetz in Wahnfried – der Familienvilla der Wagners in Bayreuth. Eva Rieger zeichnet in ihrer umfassenden Biographie des ersten Kindes von Richard Wagner und Cosima von Bülow ein Leben mit vielen Möglichkeiten, aber auch vielen Einschränkungen und Demütigungen nach. Zumal die Mutter dem Sohn Siegfried die meiste Aufmerksamkeit schenkte, denn er sollte dereinst die Festspiele leiten, die Schwestern sich ihm dienend unterordnen.
Dieses Buch lohnt sich, weil …
…weil wir immer noch nicht alles über die dunklen Kapitel der Wagner-Familie wissen.
Dieses Buch hat gefehlt, weil …
… es interessante Einblicke in das Unternehmen Bayreuther Festspiele in den Jahren nach Richard Wagners Tod bietet.
Dieses Buch lädt ein zum …
… Nachdenken über geschlechtsspezifische Rollenbilder im deutschen Kaiserreich und über die Frage, wie zerstörerisch Familie sein kann, vor allem wenn die Familie auch ein Unternehmen ist.
Heiraten war Isolde und ihren Schwestern zwar erlaubt, aber ein Leben in und für Bayreuth wurde dennoch erwartet. Zunächst läuft es ganz planmäßig, Isolde heiratet den aufstrebenden Dirigenten Franz Beidler, der die Musik Wagners liebt und sich bei den Festspielen als Korrepititor und Studienleiter bewährt. Doch als Bruder Siegfried in Franz einen Konkurrenten als Dirigent wittert, setzt er alles daran, Isolde und ihren Mann aus Bayreuth wegzuätzen. In einem Brief an ihre Schwester Daniela beklagte sie sich über den Fidi genannten Bruder bitter: "Fidi hat heftige Sympathien und Antipathien. Franz hat er nie gemocht. Seine Arbeit wurde nie anerkannt und Fidi erklärte öffentlich, dass Franz ein Faulenzer sei. Er hat eine bitter kränkende Zunge und hat mit uns wie mit vielen anderen bösen Spott getrieben."
Die Angriffe auf das Ehepaar Beidler nehmen in der Folge noch zu, auch weil Franz sich offensiv gegen das strikte Kommando aus Wahnfried stellt und nicht zu Kreuze kriecht. Es ist eine unheilvolle Geschichte, die Eva Rieger in ihrem Buch minutiös und mit einer Fülle an Briefzitaten nachzeichnet - ein familiärer Psychokrimi. Dass Isolde schließlich abgesprochen wird, die Tochter Richard Wagners zu sein, vielmehr das Kind aus Cosimas erster Ehe mit Hans von Bülow ist zuviel für sie. Sie verfällt psychisch und körperlich zusehends. Mit nur 54 Jahren stirbt sie gedemütigt und mit ihrer Familie unversöhnt.
Eva Rieger konnte für ihre ausführliche Lebensbeschreibung auf den Nachlass von Isolde und Franz zurückgreifen, den ihr die Familie zur Verfügung gestellt hatte. Die Briefe zwischen den Eheleuten offenbaren ein geradezu abgründiges Komplott Siegfrieds und ihres Schwagers Houston Stewart Chamberlain gegen Isolde und ihren Ehemann. Die Details sind erschütternd und Rieger liefert davon so viele, dass man schon fast zu viel davon bekommt. Was anfangs noch nach "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" aussieht, wird zu einem Gruselkabinett familiärer Abgründe. Rieger gebührt alle Achtung für ihre enorme Quellenarbeit und die konzise und gut lesbare Nacherzählung eines letztlich verpfuschten Lebens der ältesten Tochter Richard Wagners.
Eva Rieger:
Isolde – Richard Wagners Tochter
Suhrkamp Insel, 2022
344 Seiten, gebunden
26,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 6. Oktober 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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