Um Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von Poulencs Oper "Dialogues des Carmélites" an der Bayerischen Staatsoper 2010 entbrannte ein Rechtsstreit mit den Erben des Komponisten und Librettisten. Wie weit die Interpretation eines Werkes gehen darf, ohne der ursprünglichen Aussage eines Werkes und dem Willen des Schöpfers zu widersprechen, entschied nun nach sieben Jahren das Oberste Französische Gericht.
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Müssen am Ende von Francis Poulencs Oper "Dialogues des Carmélites" alle Nonnen durch die Guillotine sterben? Die Erben des Komponisten und dessen Librettisten Georges Bernanos finden: ja. Sie verklagten den Regisseur Dmitri Tcherniakov, in dessen Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper von 2010 die Karmelitinnen durch Gas betäubt sind, aber überleben. Nur eine, die sich für alle opfert, stirbt den Märtyrertod. Die Erben machten von ihrem Mitspracherecht Gebrauch und forderten eine Änderung der Inszenierung, andernfalls dürfe die Interpretation von Dmitri Tcherniakov nicht wieder gezeigt werden. Wie weit die künstlerische Freiheit gehen darf, ohne der ursprünglichen Aussage eines Werkes und dem Willen des Schöpfers zu widersprechen, damit befassten sich sieben Jahre lang mehrere Instanzen der französischen Justiz.
Am 30. November 2018 entschied schließlich das Oberlandesgericht Versailles zugunsten der Beklagten: Dem Regisseur sei eine sehr weit gesteckte Freiheit einzuräumen, sofern weder Dialoge noch die Musik abgeändert werden. Auch die streitgegenständliche Schlussszene übernehme die wesentlichen Themen von Poulenc und Bernanos: die Hoffnung, den Märtyrertod, die Gnade und die Gemeinschaft der Heiligen. Dafür sei es nicht ausschlaggebend, dass alle Nonnen den Märtyrertod sterben. Der Opfertod von Schwester Blanche stellvertretend für die Gemeinschaft betone ausreichend das christliche Prinzip der Selbstaufgabe.
Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nach diesem Urteil kehrt Dmitri Tcherniakovs Produktion von "Dialogues des Carmélites" auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper zurück. Im Herbst 2020 wird es drei Aufführungen geben. Intendant Nikolaus Bachler äußerte sich erfreut: "Kunst heißt immer auch Interpretation. Dass dies nun auch von einem Gericht anerkannt wurde, ist wichtig für alle Kunstsparten." In der Süddeutschen Zeitung sagte er, das Urteil gelte zwar für diese Produktion, "aber man wird es für künftige Entscheidungen heranziehen können. Wenn der oberste Gerichtshof sagt, es gibt eine Freiheit der Interpretation, dann hat das schon eine große Bedeutung", sagte Bachler.
Kunst heißt immer auch Interpretation.
Nachdem anfangs das Landgericht Paris die Klagen der Erben von Poulenc und Bernanos abgewiesen hatte, urteilte das Oberlandesgericht Paris im Oktober 2013 gegen den Regisseur mit der Begründung, dass "die Inszenierung der Schlussszene durch Tcherniakov eine Entstellung des Werkes von Georges Bernanos und Francis Poulenc darstellt und die damit verbundenen Urheberrechte verletzt". In demselben Urteil erkannte das Oberlandesgericht allerdings an, dass die Inszenierung die Kernaussage des Werks respektiere, weswegen es zur Revision dieses Urteils gekommen war.
Sendung: "Allegro" am 07.12.2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK