Was für uns "Die Fledermaus" ist, ist für die Griechen "O Vaftistikos", auf Deutsch "Der Patensohn" von Theophrastos Sakellaridis – ein Klassiker des Operettenrepertoires. Das Genre erlebte in den Jahren zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg eine Blütezeit und Sakellarides war einer der Komponisten, die damals Erfolge feierten. Gerade steht sein Werk auf dem Spielplan am Olympia City Theater in Athen.
Bildquelle: Ολύμπια Δημοτικό Μουσικό Θέατρο Μαρία Κάλλας
Olivier Descotes, der französische Intendant von Athens zweitem Opernhaus, fühlt sich auch dem Genre der Operette verpflichtet, obwohl hier lange die griechische Nationaloper residiert und Maria Callas ihr Debut gegeben hat. Die acht Vorstellungen von "O Vaftistikos" jedenfalls sind so gut wie ausverkauft und welche Popularität diese Operette hier genießt, merkt man, wenn man in einer Vorstellung im Athener Olympia-Theater sitzt und das Publikum bei vielen Liedern mitsingt. Bei einem Walzer-Duett dreht sich Dirigent George Petrou sogar um und dirigiert den inbrünstigen Gesang des Publikums. Für ihn ist der 1918 in Athen uraufgeführte "Vaftistikos" Teil der griechischen Tradition und das zeigen nicht zuletzt die vielen Bearbeitungen, die davon existieren.
Er war immer auf Höhe der Zeit, natürlich kannte er auch die Wiener Operette.
Bildquelle: Ολύμπια Δημοτικό Μουσικό Θέατρο Μαρία Κάλλας In Athen kommt derzeit die Originalversion von 1918 zur Aufführung, mit kleiner Orchesterbesetzung - also einfache Holzbläser, zwei Hörner, eine Trompete, eine Posaune, Schlagzeug. "Diese Instrumentierung galt seit 1946 als verloren, seit der ersten Aufführung in diesem Theater, das damals noch die Nationaloper beherbergt hat", sagt George Petrou, Dirigent und Regisseur. Das Original hat er 2012 wiederentdeckt und dirigiert es heuer schon zum dritten Mal. "Ich finde diese schlanke Instrumentation passender zum Stück, sehr leicht und trotzdem gut im Klang. Das war die Art, wie Sakellaridis alle seine Operetten instrumentiert hat. Er war immer auf der Höhe der Zeit, natürlich kannte er auch die Wiener Operette."
George Petrou brennt für Sakellaridis – und das merkt man. Das kleine Orchester mag nicht immer brillant klingen, aber es hat die Leichtigkeit, die das Genre verlangt. Zwar erinnert die Musikdramaturgie des Werks mit seinen Walzer- und Buffoduetten, Couplets und Märschen an die Wiener Operette, doch die Vorlage ist unverkennbar Französisch, ein vielgespielter Schwank von Maurice Hennequin, in dem sich zwei Ehepaare über Kreuz betrügen, dafür falsche Identitäten annehmen und das Militär durch den Kakao gezogen wird, bis dann – Tür auf, Tür zu – die erotischen Irrungen und Wirrungen aufgelöst werden, ganz nach Pariser Art. Komponist Sakellaridis hat das Stück selbst zum Operettenlibretto umgeschrieben, ganz nach Athener Art.
Szene aus "Der Patensohn" von Theophrastos Sakellaridis, Olympia City Theater in Athen | Bildquelle: Ολύμπια Δημοτικό Μουσικό Θέατρο Μαρία Κάλλας Und deshalb inszeniert Petrou auch selbst, verleiht ihr nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch seine Handschrift. Tempo und Timing stimmen, die Pointen zünden – und es wird viel gelacht. Die 20er-Jahre-Ausstattung mag für deutsche Verhältnisse etwas konventionell ausfallen, ebenso die doch sehr brave Choreografie. Aber die Inszenierung funktioniert. Vor allem weil die Sängerinnen und Sänger nicht nur singen, sondern erstaunlich gut schauspielern können.
Schließlich ist auch diese Operette in erster Linie ein Theaterstück mit sehr vielen Dialogen. Der dritte Akt besteht nur daraus und es taucht – wie in der "Fledermaus" – eine reine Sprechrolle auf: nämlich besagter Titelheld, der es an Bauernschläue und Betrunkenheit mit jedem Frosch aufnehmen kann. Gespielt wird er von Thanasis Tsaltabasis, der mit Szenenapplaus begrüßt wird. Auch die übrige Besetzung beweist komisches Talent, besonders das Ehepaar Dimitris Pagsoglou und Martha Sotiriou samt Onkel Tassis Christoyannis, der vor 30 Jahren zum ersten Mal in "Der Patensohn" aufgetreten ist.
Die Athener Aufführung zeigt nicht zuletzt, dass die Operette ein kosmopolitisches Genre war, das ganz Europa verbunden hat. Und dass auch hier die Ähnlichkeiten größer sind als die Unterschiede: der französische Dramatiker Georges Feydeau auf Griechisch mit Lehárscher Musik von Theophrastos Sakellaridis.
Sendung: "Allegro" am 20. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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