BR-KLASSIK

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Die Verstorbenen des Jahres 2022 Um sie trauerte die Klassikwelt

Eine große Sängerin, zwei viel zu jung verstorbene Pianisten und ein Dirigent, dessen Leben im Orchestergraben endete – das sind nur einige der vielen Künstler:innen, von denen wir uns 2022 verabschieden mussten.

Lars Vogt | Bildquelle: © Giorgia Bertazzi

Bildquelle: © Giorgia Bertazzi

Lars Vogt – Feinfühlig, zugewandt, herzlich

Begonnen hatte alles mit dem Klavierwettbewerb in Leeds im Jahr 1990: Gerade mal zwanzig Jahre alt, öffnet der 2. Preis Lars Vogt alle Türen. Von Orchestern in ganz Europa wird er eingeladen. Simon Rattle holt ihn zum City of Birmingham Symphony Orchestra und nimmt mit ihm 1992 erst Schumanns und Griegs Klavierkonzerte auf, drei Jahre später dann auch die ersten beiden Beethoven-Klavierkonzerte. Zusätzlich wirkte Lars Vogt als Chefdirigent beim Orchestre de Chambre de Paris und gründete das Musikfestival "Spannungen" in der Eifel. Im März 2021 machte der Pianist seine Krebserkrankung öffentlich, am 5. September 2022 ist er mit nur 51 Jahren gestorben.

Teresa Berganza – Die dezente Primadonna

Teresa Berganza | Bildquelle: picture-alliance/dpa Teresa Berganza (1933 – 2022) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dass sie bisweilen als "größte Sängerin mit dem kleinsten Repertoire" bezeichnet wurde, konnte der spanischen Mezzosopranistin egal sein. Ihre lange Karriere bei makelloser Stimme gab ihrem strikten Auswahlverfahren recht. Teresa Berganzas Stilempfinden war untrüglich, ihr Bewusstsein der eigenen Talente und Grenzen ebenso. Im Zentrum ihrer internationalen Opernlaufbahn stand neben Mozart besonders Rossini, denn Berganzas Mezzo entsprach mit seiner metallischen Tiefe, schlanken Höhe und enormen Beweglichkeit genau dem Fach des Koloratur-Alt, für das Rossini seine schönsten Partien schrieb. Ästhetik statt Athletik, intimer Affekt statt greller Effekt – so lautete das Credo der "dezenten Primadonna", die es nie nötig hatte, durch Skandale auf sich aufmerksam zu machen. Am 13. Mai 2022 ist die Mezzosopranistin im Alter von 89 Jahren in der Nähe von Madrid gestorben.

Alice Harnoncourt – Pionierin des Originalklangs

Alice Harnoncourt | Bildquelle: GrabnerGdM Alice Harnoncourt (1930 – 2022) | Bildquelle: GrabnerGdM Musikerin, Managerin, Mutter: Ohne Alice Harnoncourt wäre für ihren Mann Nikolaus vieles schwieriger gewesen. Sie kümmerte sich um die Kinder, organisierte Konzertreisen und Interviews – und brillierte als Solistin im gemeinsamen Ensemble "Concentus Musicus". Von Biber bis Mozart spannte sich der Bogen der Komponisten, denen Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus einen neuen Klang verlieh. Und Alice Harnoncourt spielte immer wieder und immer wieder unvergleichlich beseelt die Sologeige. Als Studentin sei sie überzeugt davon gewesen, eine große Solistin zu werden, erzählte Alice Harnoncourt einmal im Interview mit BR-KLASSIK. Dann jedoch entdeckte sie die Barockgeige für sich. Sie sei fasziniert gewesen vom Klang der alten Barockinstrumente, sagte sie noch Jahrzehnte später. Alice Harnoncourt war eine charmante, freundliche, aber auch eine sehr bestimmte Frau. In den Morgenstunden des 20. Juli 2022 ist Alice Harnoncourt im Alter von 91 Jahren gestorben.

Rolf Kühn – Der Elegante mit Kanten

Jazzklarinettist Rolf Kühn schwarz weiß | Bildquelle: Paul Zinken-dpa Rolf Kühn (1929 – 2022) | Bildquelle: Paul Zinken-dpa Rolf Kühn hat den Jazz nicht nur in Deutschland fast 70 Jahre lang geprägt und unzählige Musikerinnen und Musiker mit seinem weiten musikalischen Horizont inspiriert. Am 29. September 1929 kam er in Köln zur Welt, wuchs aber in Leipzig auf. Geige, Akkordeon, Klavier und schließlich Klarinette waren seine Instrumentenstationen. Die 30er- und 40er-Jahre waren eine schwere Zeit für die Familie. Rolfs Mutter Grete war Jüdin und die Familie lebte in ständiger Angst. Nach 1945 spielte Rolf dann als Profimusiker Tanzmusik, später entdeckte er den Jazz für sich. Über verschiedene Orchester wurde Kühn Erster Saxophonist im RIAS-Tanzorchester in Berlin. Aber die Klarinette war immer sein eigentliches Instrument. Später komponierte Rolf Kühn, auch für Film und Fernsehen und im Klassikbereich. Aber er blieb auch dem Jazz treu und veröffentlichte immer wieder Platten. Am 18. August 2022 ist Rolf Kühn im Alter von 92 Jahren gestorben.

Stefan Soltész – gestorben am Dirigentenpult

ARCHIV - 29.09.2008, Nordrhein-Westfalen, Essen: Stefan Soltesz, damaliger Intendant und Generalmusikdirektor des Aalto Theaters in Essen, sitzt in dem Opernhaus. (zu dpa «Dirigent Stefan Soltesz nach Zusammenbruch gestorben») Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bildquelle: dpa-Bildfunk/David-Wolfgang Ebener Stefan Soltész (1949 – 2022) | Bildquelle: dpa-Bildfunk/David-Wolfgang Ebener Mit Entsetzen und großer Trauer hat die Bayerische Staatsoper am Abend des 22. Juli 2022 den Tod des österreichischen Dirigenten Stefan Soltész bekanntgegeben. Kurz vor Ende des ersten Aktes der Oper "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss war er im Graben zusammengebrochen. Obwohl sofort der Theaterarzt und Zuschauer zu Hilfe geeilt waren, konnte er nicht mehr gerettet werden. Schon als Kind hatte Soltész die Oper als Sängerknabe in Wien lieben gelernt. Als Teenager überlegte er sogar, Schauspieler zu werden. "Ich bin hauptberuflich Dirigent, aber in erster Linie bin ich Theatermensch", sagte er einmal über sich. 1997 übernahm er in Doppelfunktion den Posten des Generalmusikdirektors und des Intendanten am Aalto-Theater in Essen – ein Glücksgriff für beide Seiten. Denn von da an ging es mit dem Theater steil bergauf.

Vangelis – Oscargekrönte Filmmusik

Komponist Vangelis | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vangelis (1943 – 2022) | Bildquelle: picture-alliance/dpa 1943 als Evangelos Odysseas Papathanassiou in einer griechischen Kleinstadt geboren, machte er als "Vangelis" Weltkarriere. Besonders mit seinen Soundtracks zu Streifen wie "Blade Runner" oder "1492 – Conquest of Paradise" schrieb er Filmmusikgeschichte. Am 17. Mai 2022 verstarb der öffentlichkeitsscheue Musiker im Alter von 79 Jahren in Paris. 2019 äußerte sich Vangelis in einem seiner seltenen Interviews zu elektronischer Musik und neuen Technologien: "Die Avantgarde steckt nicht in den Instrumenten, sondern im Menschen."

Harrison Birtwistle – Musik wie rollende Felsbrocken

Harrison Birtwistle | Bildquelle: BR/Philipp Weismann Harrison Birtwistle (1934 – 2022) | Bildquelle: BR/Philipp Weismann Harrison Birtwistles ruppige Musik ist längst Teil des Kanons der Neuen Musik und wird von allen bedeutenden Orchestern der Welt gespielt. Als musikalischer Leiter hat Harrison Birtwistle die Gründungsjahre des Royal National Theatre mitgeprägt und wurde dafür von der Queen in den Adelsstand erhoben; später hatte er den Henry Purcell-Kompositionslehrstuhl am Londoner King's College inne. Seine Musik klingt oft heftig, wuchtig, laut. Als Person war der 1934 geborene Sohn eines Farmers dagegen das komplette Gegenteil: zurückhaltend, nachdenklich, still, die Gefühle hinter einem dichten Vollbart versteckt. Am 18. April 2022 ist der britische Komponist im Alter von 87 Jahren gestorben.

Radu Lupu – Der Leisemagier

Radu Lupu | Bildquelle: picture alliance/Leemage Radu Lupu (1945 – 2022) | Bildquelle: picture alliance/Leemage Der Dirigent Ivan Fischer verglich den rumänischen Pianisten Radu Lupu mit Brahms. Nicht nur wegen des vollen Barts. Sondern auch wegen seines Spiels: Zurückgelehnt auf seinem Stuhl, fast reglos, und mit einer ruhigen, introvertierten Ernsthaftigkeit, die eine Intimität erzeuge, der man sich kaum entziehen könne. Geboren wurde Radu Lupu in Galati, weit im Osten Rumäniens, nahe des Donaudeltas. Fast ein halbes Jahrhundert lang war Radu Lupu auf allen großen Podien dieser Welt zu Gast. Es gab kaum ein wichtiges Orchester, mit dem er im Lauf dieser Zeit nicht musiziert hätte. Lupu ging es ums Wesentliche, um klangliche Nuancen, die er vor allem im Leisen entdeckt hat. Am 17. April 2022, dem Ostersonntag, ist er in Lausanne gestorben.

Annerose Schmidt – Ihre Musik war wie ihr Charakter

Die Pianistin Annerose Schmidt | Bildquelle: Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin Annerose Schmidt (1936 – 2022) | Bildquelle: Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin Sie war die erfolgreichste Pianistin in der DDR, Professorin für Klavier und einige Jahre Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin: Annerose Schmidt. Aufgewachsen in einer Musikerfamilie, stand die Berufswahl schon früh fest für sie. Annerose Schmidt war erfolgreich, auch auf Gastspielreisen. Das Spiel der Künstlerin, die am 10. März 2022 gestorben ist, war immer von einer Deutlichkeit, Klarheit und Überlegtheit gekennzeichnet. Technische Ungenauigkeiten hasste sie genauso wie willkürliche Interpretationen. Ihre Musik war wie ihr Charakter: geradlinig, offen und direkt. So war sie auch zu ihren Studierenden.

Nicholas Angelich – Mühelose Kunst

Nicholas Angelich | Bildquelle: Marc Ribes / Virgin Classics Nicholas Angelich (1970 – 2022) | Bildquelle: Marc Ribes / Virgin Classics Im Alter von nur 51 Jahren ist der Pianist Nicholas Angelich am 18. April 2022 an den Folgen einer schweren Lungenerkrankung gestorben. Der US-Amerikaner studierte bei großen Musikern wie Aldo Ciccolini, Leon Fleisher und Maria João Pires und war international sehr erfolgreich. Der US-Amerikaner, der sein Debüt als Solist mit Orchester im Alter von sieben Jahren gab, verfügte über eine herausragende pianistische Technik und konzertierte regelmäßig mit weltweit renommierten Künstlerinnen und Künstlern.

Kommentare (4)

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Freitag, 30.Dezember, 21:43 Uhr

Till

Michael Ponti

Der große Pianist Michael Ponti starb auch in diesem Jahr (1937-2022) in Garmisch-Partenkirchen!

Sonntag, 25.Dezember, 21:00 Uhr

Yvonne Meybom

Erschütterung

Hallooo,
Meine Güte, so viele bedeutende Künstler sind in diesem Jahr gestorben, was gar nicht so publik gemacht wurde.
Ich höre regelmäßig HR2Kultur, SWR2 sowie BR KLASSIK. Aber kaum habe ich etwas vom Ableben all dieser Künstler erfahren. Dankeschön
Freundliche Grüße Yvonne Meybom

Mittwoch, 21.Dezember, 19:19 Uhr

Thomas Randhahn

Einer fehlt hier aus meiner Sicht

Ich vermisse schmerzlich Georg Christoph Biller, den 16. THOMASKANTOR nach Johann Sebastian Bach, de am 22.01. verstarb.

Mittwoch, 21.Dezember, 19:16 Uhr

Thomas Randhahn

Einer fehlt für mich in dieser Aufzählung...

Ich vermisse auch schmerzlich Georg Christoph Biller, den 16. Thomaskantor nach Johann Sebstian Bach, der am 22. Januar verstarb.

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