Mit dem Violinkonzert von Alban Berg gibt die 28-jährige Geigerin Veronika Eberle ihr Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Berg widmete sein Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels“, der tragisch früh verstorbenen Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius – es sollte zu seinem eigenen Requiem werden. Ein Interview.
Bildquelle: © Jan Northoff
BR-KLASSIK: Veronika Eberle, das Violinkonzert von Alban Berg ist ein Klassiker der Geigenliteratur. Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Werk?
Veronika Eberle: Ich habe vor fünf Jahren zum ersten Mal angefangen, das Violinkonzert von Alban Berg zu studieren. Und es damals mit dem SWR Symphonieorchester unter Marriner aufgeführt. Und seitdem hat es mich nie wieder losgelassen. Wenn man sich durch die ersten Noten hindurch gegraben hat, dann ist es eigentlich ganz glasklar und sehr logisch aufgebaut. Unglaublich intelligent und sehr vollkommen komponiert. Trotz der Zwölftontechnik und seiner komplizierten Art zu schreiben verliert Berg nie die Seele und den Klang aus den Augen. Und das finde ich das unglaublich Faszinierende an ihm – auch, wenn man andere Werke von ihm betrachtet.
BR-KLASSIK: "Dem Andenken eines Engels" – ist dieser Untertitel für Sie eine Art Programm und macht er das Werk zugänglicher?
Veronika Eberle: Das Stück ist ja diesem Kind, dem Mädchen Manon gewidmet, und es gibt die Vorstellung, dass es wirklich um sie als Person geht, dass der erste Satz eine Art Porträt ist, wo sie beschrieben wird als Engelswesen, als ganz grazile "Engelsgazelle vom Himmel", wie Elias Canetti sie mal genannt hatte. Also sie muss ein ganz bezauberndes Lichtwesen gewesen sein. Und dann im zweiten Satz diese Tragödie, diese große Krankheit, die sie mit 18 bekommen hat, Polio, an der sie dann gestorben ist. Aber ich glaube, es steckt mehr dahinter. Es ist nicht nur die Geschichte von Manon. Berg erzählt auch seine eigene Geschichte. Man weiß ja von ihm, dass er es geliebt hat, oft kleine Geheimnisse zu verstecken und Botschaften in die Musik einzubauen. In manchen Werken – wie in der "Lyrischen Suite" z.B. – hat er sie selbst preisgegeben. Aber auch hier im Violinkonzert findet man Hinweise auf den Komponisten. Zum Beispiel ist die Zahl 23 extrem wichtig. Und: Berg hat mit 23 und am 23. Juli seinen ersten Asthmaanfall gehabt. Und er hat den in den zweiten Satz des Violinkonzerts mit eingebaut. Im Takt 23 beginnt ein Rhythmus – in den Bläsern zuerst, die Solovioline übernimmt ihn später – der letztendlich zu Katastrophe, zum Höhepunkt, zum vollkommenen Desaster führt.
BR-KLASSIK: Sie spielen das Werk natürlich auswendig. Das macht man so. Wenn man aber im Publikum sitzt, ist es schier unfassbar, wie man diese abstrakte Notenmenge im Kopf behalten kann. Wie strukturieren Sie das Werk für sich?
Bildquelle: © Jan Northoff Veronika Eberle: Das ist letztendlich unglaublich klar geschrieben. Es hat einen ganz klaren Aufbau, an dem man sich gut orientieren kann. Und es ist auch extrem viel Kammermusik mit dabei. Es ist nicht nur so, dass die Solovioline die ganze Zeit die Hauptstimme hat. Sondern da ist Berg auch in der Partitur ganz klar und schreibt ganz eindeutig, wer wann die Hauptstimme hat. Man wirft sich sozusagen gegenseitig die Bälle zu.
BR-KLASSIK: Alban Berg hat sich ja auch Tipps geben lassen, was die Geigentechnik betrifft, und zwar vom Auftraggeber, Louis Krasner, einem amerikanischen Geiger. Haben Sie das Gefühl als Geigerin, er hat schon die Grenzen des technisch Machbaren auf der Geige ausgelotet?
Veronika Eberle: Ich glaube, es gibt ein paar Stellen, wo er nicht ganz sicher war, was auf der Geige möglich ist oder wie es auf der Geige genau möglich ist. Und er hat da auch immer eine anderen Variante, einen Ossia-Part, dazugeschrieben, den man auch spielen kann. Berg ist glaube ich einer der großen, großen Meister in Klangfarben. Und ich finde, da hat er einfach mit Flageolett, mit Pizzicato, mit Col legno, mit diesen ganzen Techniken schon viel in das Werk eingebracht. Und ich glaube, er ist kein Komponist gewesen, der sich so stark von einem Geiger hätte beeinflussen lassen, dass er seine musikalische Idee aufgegeben hätte, sondern die Idee war ganz stark da – was er machen und in welche Richtung er gehen will. Und dann kam das Instrument dazu.
Das Gespräch führte Julia Schölzel für BR-KLASSIK.