2019 war ein bewegtes Jahr, viele Todesmeldungen aus der Musikwelt haben uns richtig mitgenommen. BR-KLASSIK ruft die großen Musikerpersönlichkeiten, die in den letzten Monaten von uns gegangen sind, noch einmal in Erinnerung.
"Eine starke Persönlichkeit ist etwas anderes als ein Diktator", das sagte Mariss Jansons, selbst eine starke Persönlichkeit ohne diktatorisches Gehabe. Aber mit fragiler Gesundheit. Wahrscheinlich haben wir alle geglaubt, es würde ewig so weitergehen. Die Interviews mit ihm waren nicht immer ergiebig - das war ihm alles zu viel Aufhebens um seine Person. Als wollte er uns kundtun: "Was soll ich euch erzählen? Hört euch lieber an, was mein Orchester und ich euch musikalisch zu sagen haben." Am 1. Dezember ist der Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit 76 Jahren in seiner Heimat St. Petersburg gestorben. Der neue Münchner Konzertsaal, für den er leidenschaftlich gekämpft hat, wird seinen Namen tragen.
Zum Tod von Mariss Jansons - Eine Ära geht zu Ende
Hans Zender | Bildquelle: © Astrid Ackermann "Was erlauben Sie sich eigentlich mit der Musik von Franz Schubert?" Wir wissen nicht, wie oft der Dirigent und Komponist Hans Zender seine Fassung der "Winterreise" gegenüber entrüsteten Musikfans verteidigen musste. Eine "komponierte Interpretation" nannte er seine Auseinandersetzung mit Schubert, die zum Welterfolg wurde. Zurecht. Denn der Musik-Denker Zender folgte nur dem, was als gern gebrauchtes, aber nicht immer richtig verstandenes Zitat seit Jahrzehnten durch die Musikgeschichte irrlichtert: "Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche." Komponieren hat Hans Zender als Abenteuer begriffen: "Ich will keine Städte bauen, in denen ein Werk aussieht wie das andere." Im Oktober, mit 82 Jahren, ist Hans Zender gestorben.
Zum Tod von Hans Zender - Nachruf
Dina Ugorskaja | Bildquelle: © Felix Broede "Schuberts himmlische Längen begleiten mich mein Leben lang", schreibt Dina Ugorskaja im Booklet ihrer Schubert-CD. Ihrer letzten. Ihrem musikalischen Vermächtnis. "Die Zeit scheint in dieser Musik manchmal ganz stehen zu bleiben. Der Schmerz, das Unerträgliche, die Abgründe und die Ausweglosigkeit überwältigen uns." Als bestürzend existenziell empfinden wir die Deutung dieser Schubert-Welt durch eine empfindsame, bohrend intensive Künstlerin - jetzt, nach Dina Ugorskajas Tod, mit nur 46 Jahren.
Zum Tod von Dina Ugorskaja - Die Zeitlosigkeit hörbar gemacht
Jacques Loussier hat Beethoven, Vivaldi, Schumann und vor allem Johann Sebastian Bach zum Swingen gebracht. Als 16-Jähriger beginnt der Franzose aus Angers (nach einem Blackout während eines Prüfungsvorspiels am Konservatorium) zu improvisieren – und wie von selber tut sich die Welt des Thomaskantors auf. Dieses federleichte Spiel mit der Tradition verschreckt die Puristen – und erschließt der klassischen Musik ein neues Millionenpublikum. Jacques Loussier wird 84 Jahre alt.
Zum Tod von Jacques Loussier - Mit swingendem Bach um die Welt
Michael Gielen | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Ich bereue, dass ich nicht mehr Bach gespielt habe. Man lernt hören mit Bach". Sonst musste sich der Dirigent und Komponist Michael Gielen nichts vorwerfen. Er wusste immer, wohin seine musikalische Reise gehen sollte. Die Musik seiner Zeit war sein Thema - um Vorurteile abzubauen. Das, was vorher war, hat er dabei nicht vergessen. "Ich habe mir die Literatur nach rückwärts erobert." Als Operndirektor in Frankfurt hat er der Musikwelt die Regisseure Ruth Berghaus und Hans Neuenfels zugemutet - und als Leiter des SWR-Sinfonieorchesters hat er Beethovens Schiller-Jubel mit Schönbergs Auschwitz-Kantate kombiniert. Er war sarkastisch, spitzzüngig und in seiner Strenge gefürchtet - und er war ehrlich: "Wenn man gar nicht eitel ist, kann man auch nicht Dirigent werden." Michael Gielen starb mit 91 Jahren.
Zum Tod von Michael Gielen - Nachruf
Mit 16 bricht der Brasilianer die Schule ab, um Musik zu machen. Der Erfolg lässt auf sich warten. In Rio will niemand was von ihm wissen. Mit seiner Gitarre zieht er sich zurück aufs Land, ins Haus seiner Schwester. Er übt und probt stunden-, tage-, wochenlang, angeblich im Badezimmer. Wegen der besonderen Akustik. Und dann kommt er wieder und präsentiert der Welt den Bossa Nova. „The Girl from Ipanema“ schreibt Musikgeschichte. Schon früh zieht sich Gilberto in die selbst gewählte Einsamkeit zurück, streitet mit seiner Plattenfirma, verschuldet sich, überwirft sich mit der Familie und stirbt mit 88 Jahren verarmt in seinem Haus in Rio.
Zum Tod von Joao Gilberto - Die Stimme der Bossa Nova
André Previn | Bildquelle: dpa/Hermann-Wöstmann Universalgenie - das sagt sich so leicht. Und gibt es so selten. André Previn war eins. Bis zum Schluss seines langen Lebens tanzte er als Komponist, Dirigent und Arrangeur lustvoll zwischen den Stühlen und Stilen". Klassik oder populäre Musik? Er musste sich nie entscheiden. "Im Moment ist André wahrscheinlich gerade in einer Jam-Session mit Oscar Petersen und Wolfgang Amadeus Mozart ... und er wird sie übertreffen", schrieb Anne-Sophie Mutter nach dem Tod von André Previn, mit dem sie vier Jahre verheiratet war. Previn starb eine Woche vor seinem 90. Geburtstag.
Zum Tod von André Previn - Nachruf
Man hört dieser Musik nicht unbedingt an, dass ihr Schöpfer fünf Jahre lang bei der großen Nadia Boulanger studiert hat: Michel Legrand. Das Chanson und der Jazz waren sein Metier, bevor er als Filmkomponist erst europaweit Karriere machte und sich anschließend auch die Neue Welt eroberte. Berührungsängste, gleich welcher Art, kannte er nicht: "Wenn Sie mich bitten, einen Mozart für Sie zu schreiben, mache ich das. Und niemand könnte sagen, dass es nicht er war." Motive aus Mozarts Sinfonia concertante verstecken sich in seiner bekanntesten Filmmusik: "Windmills of your mind" oder, französisch: "Les moulins de mon coeur". Musik für die Ewigkeit - nicht nur wegen Faye Dunaway und Steve McQueen. Dafür gewann Michel Legrand 1969 einen seiner drei Oscars.
Zum Tod von Michel Legrand - Meister der großen Filmmelodien
Jessye Norman | Bildquelle: picture-alliance/dpa Überwältigung - nichts weniger ist uns bei jedem Auftritt der Sängerin Jessye Norman widerfahren. Ihre majestätische Erscheinung, die wallende, in tausend Farben schillernde Robe, ihre immer wieder anders kunstvoll gebändigte schwarze Mähne, jede Geste, jeder Blick - das alles war schon pure Magie. Und dazu kam dann noch diese satte, üppige, wundervoll timbrierte Stimme, mit der sie virtuos zu spielen verstand. Der konkurrenzlose Triumph 1968 beim Internationalen ARD-Musikwettbewerb in München öffnete ihr sofort alle Türen. Schon ein Jahr später sang sie an der Deutschen Oper Berlin die Elisabeth in Wagners "Tannhäuser". Ab den 80er Jahren machte sich die Norman auf der Opernbühne rar; ihre Liederabende wurden Kult. Ihre Herkunft aus dem rassistisch geprägten Süden der USA hat sie nie vergessen - bis zuletzt engagierte sie sich in einem Musikprojekt für Kinder in ihrer Heimatstadt Augusta in Georgia. Am 30. September ist Jessye Norman an den Spätfolgen einer Rückenmarksverletzung gestorben. Sie wurde 74 Jahre alt.
Zum Tod von Jessye Norman - Nachruf
Sendung: "Leporello" am 17. Dezember 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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