67 Jahre ist es bereits her, seit "Viktoria und ihr Husar" in München komplett aufgeführt wurde. Nun inszeniert Gärtnerplatz-Intendant Joseph E. Köpplinger die Operette von Paul Abraham neu. Gestern hatte das Stück Premiere im Münchener Prinzregententheater. Eine Glanzleistung auf allen Ebenen, schwärmt BR-KLASSIK Kritiker Peter Jungblut.
Bildquelle: Christian POGO Zach
"Viktoria und ihr Husar" im Prinzregententheater München
So bewegend kann Operette sein
Ja, es ist möglich, Operette ernst zu nehmen, sehr ernst sogar, und erst dann ist sie so unterhaltsam, bewegend und mitreißend wie gestern Abend im Münchener Prinzregententheater. Es begann mit einer Schein-Hinrichtung, mit düsteren Kerker-Szenen aus dem russischen Bürgerkrieg, etwas "Dr. Schiwago" also, und diese Spannung wurde über knapp zwei pausenlose Stunden so gekonnt und bildstark durchgehalten, dass das Publikum am Ende schier überwältigt war.
So modern, so glaubwürdig und so ironisch hätte Operette sein können, wenn Komponisten wie Paul Abraham und Textdichter wie Fritz Löhner-Beda nicht von den Nazis aus Deutschland vertrieben worden wären. "Viktoria und ihr Husar" wurde 1930 in Budapest uraufgeführt, Abraham und Löhner-Beda waren damals Superstars, doch ihre Karrieren endeten tragisch. Abraham emigrierte nach Amerika, landete mit Syphilis in der Psychiatrie und starb vergessen und geistig umnachtet 1960 in Hamburg. Löhner-Beda wurde in einem Konzentrationslager totgeschlagen, weil Manager des Chemiekonzerns IG Farben seine Arbeitsleistung bemängelt hatten. So endeten zwei Männer, die in der Weimarer Republik das deutsche Unterhaltungstheater wegweisend beeinflusst hatten.
Es ist verdienstvoll von Josef Köpplinger, dem Intendanten des Münchener Gärtnerplatztheaters, diese leider weitgehend verschüttete Tradition wieder in Erinnerung zu rufen - und kaum jemand kann Operette derzeit so gekonnt inszenieren wie er. In "Viktoria und ihr Husar" landet das Liebespaar erst in Japan, dann in Russland und schließlich in der ungarischen Puszta, und alles hochdramatisch eingerahmt von der roten Oktober-Revolution. Klar, dass es alles in wilder Mischung zu hören und zu sehen gibt: Fernöstliche Geishas und Sumo-Ringer, russische Babuschkas und Armeesoldaten, weinselige ungarische Piroschkas, einschließlich Salami, Gulasch und Tokaier. Einen üppig ausgestatteten Bilderbogen zeigte Köpplinger, immer wieder unterbrochen vom blutigen Ernst der Roten Armee.
Drei Ausstatter waren am Werk, Karl Fehringer, Judith Leikauf und Alfred Mayerhofer, und sie alle trugen zum durchschlagenden Erfolg dieser tragikomischen Operette enorm bei. Trotz aller schrägen, ja irren Nummern blieb die Handlung absolut glaubwürdig, fieberten die Zuschauer mit dem Husaren Stefan Koltay und seiner angebeteten Viktoria förmlich mit.
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Dank Mikrofonierung wurde alles zum textverständlichen Naherlebnis. Schauspieler wie Gunther Gillian als nachdenklicher, roter Offizier Petroff war als Gegengewicht zur turbulent-sentimentalen Musik absolut notwendig. Daniel Prohaska und Alexandra Reinprecht in den Hauptrollen rockten den Saal mit ihrer Leidenschaft, ihrer Stimme, ihrer Glaubwürdigkeit. Ähnlich überzeugend Josef Ellers als Offiziersbursche, der splitternackt einen hinreißenden Handtuch-Tanz absolvierte. Auch Susanne Seimel als trinkfreudige Halbjapanerin, Stichwort "Mama aus Yokohama", und Christoph Filler als ihr überforderter Gatte sorgten für viel Applaus. Statisten, Chor und Tänzer waren ungewöhnlich gut geprobt und vor allem ausgesprochen gut gelaunt.
Optisch war vom erwähnten "Dr. Schiwago" über "Madame Butterfly" bis zu "Ich denke oft an Piroschka" alles geboten, und zwar absolut auf der Höhe der Zeit, also weder kitschtriefend, noch langatmig, sondern augenzwinkernd, temporeich und direkt. Dazu passte das so beschwingte wie hintergründige Dirigat von Michael Brandstätter: Etwas gefühlig, etwas pathetisch, zu Herzen gehend. Trotz Fußball-EM ist "Viktoria und ihr Husar" schon jetzt sehr gut nachgefragt, und vermutlich bald ausverkauft. Eine Leistung, auf die das Gärtnerplatztheater stolz sein kann.