Vladimir Jurowski ist nicht nur Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper, sondern dirigiert auch leidenschaftlich gern zeitgenössische Musik mit kleineren Ensembles. Nun tritt er in München zum ersten Mal mit dem Ensemble für aktuelle Musik der/gelbe/klang auf.
Bildquelle: Svenja Wieser
Der Probenraum des Münchner Ensembles "der/gelbe/klang" liegt in einem Industriegebiet im 6. Stock. Die neun Musikerinnen und Musiker haben sich mit ihren Instrumenten eingerichtet: Akkordeon, Streicher, Klarinette, Posaune, Flöte und diverses Schlagwerk. Gerade proben sie das Stück "Chevengur" des Komponisten Vladimir Tarnopolski. Er ist vor Ort, beobachtet konzentriert die Probe, teilt zwischendurch mit einzelnen Instrumentalisten seine klanglichen Vorstellungen an einer bestimmten Passage. Eine herausfordernde Aufgabe für die Musikerinnen und Musiker, die Wünsche nachzuvollziehen, direkt in die Tat umzusetzen und dafür auch noch die richtige Technik parat zu haben. Das ist das Los der Ensembles für Zeitgenössische Musik: spontan zu reagieren und wandlungsfähig zu sein.
Vladimir Jurowski und Kleinere Ensembles: Eine gute Kombi
Am Pult im Probensaal mit blauem Teppichboden und grellen Lampen steht Vladimir Jurowski. Seine hauptsächliche Wirkungsstätte ist derzeit die Bayerische Staatsoper. Dort hat ihn der Klarinettist und Gründer des Ensembles "der/gelbe/Klang" Oliver Klenk auf dem Flur angesprochen, ob er nicht Lust habe, auch mal ein kleineres Ensemble für Neue Musik zu dirigieren. Klenk wusste bereits, dass Jurowski in Berlin öfter Ensembles dirigiert. Und so habe dieser keine Sekunde mit der Zusage gezögert, erzählt Klenk. Für Vladimir Jurowski wiederum biete diese Zusammenarbeit die Gelegenheit, sich in seiner neuen Heimat München auch als Ensembleleiter zu präsentieren, immerhin brenne er für die Neue Musik, so Jurowski in der Probenpause.
Das Wichtigste ist die gemeinsame Chemie.
Dabei komme es bei der Ensemblearbeit im Gegensatz zum symphonischen Dirigieren darauf an, Synergien zu schaffen zwischen Ensemblemitgliedern und Ensembleleiter: "Das Wichtigste ist, diese gemeinsame Chemie zu entwickeln, dass man sich versteht, dass man sich fühlt und dass man dann im Konzert gemeinsam nicht nur auf einem sehr hohen Grad der Perfektion spielt, sondern auch die Inhalte dieser Musik transportiert."
Das Konzert findet am 17.12.2023 um 19 Uhr im Schwere Reiter in München statt. BR-KLASSIK schneidet mit und sendet Teile daraus in der Sendung Horizonte am 07.03.2024 ab 22:05 Uhr
Auf dem Programm: Osteuropäische Literatur
Das Ensemble der/gelbe/klang | Bildquelle: der/gelbe/klang/website Das Münchner Ensemble "der/gelbe/klang" besteht seit Anfang 2020 und setzt sich aus überwiegend freischaffenden Musikerinnen und Musikern zusammen, die ihre Leidenschaft für aktuelle Musik teilen. Normalerweise stehen Uraufführungen auf ihren Programmen. Diesmal spielen sie Werke osteuropäischer Komponistinnen und Komponisten, die in Deutschland gar nicht oder nur selten gespielt werden. Die Auswahl trafen sie gemeinsam mit Vladimir Jurowski. Und der tut in dieser Probe alles dafür, dass das Ensemble noch mehr zusammenwächst. Was zu Beginn vielleicht noch etwas durcheinander wirkt, formt Jurowski in nur eineinhalb Stunden zu einem ganz kompakten Klang. Er lenkt den Fokus auf die musikalischen Gespräche zwischen den Instrumenten, lässt sie Klänge gegenseitig imitieren, fortlaufen, entwickeln. Jurowskis Fokus ist es, sich der musikalischen Aussagekraft eines zeitgenössischen Werks genauso intensiv zu widmen wie in einer romantischen Oper – trotz der technischen Herausforderungen, die ein aktuelles Werk so mit sich bringt.
Auf dem Programm steht unter anderem Musik des Komponisten Vladimir Tarnopolski. Kurz nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist er mit seiner Familie über Usbekistan nach München gekommen, wo er nun lebt und sich übrigens seither als "europäischer Komponist" bezeichnet.
Sein Stück "Chevengur" ist angelehnt an Andrei Platonovs gleichnamige Novelle. Ein Antikriegsroman aus dem Jahr 1928, der in Russland verboten ist. Vladimir Tarnopolski hat seine Komposition dazu schon bereits vor zwanzig Jahren geschrieben. Leider, sagt er im Gespräch, sei dieses Stück heute noch aktueller und schärfer als vor zwanzig Jahren. Hegel habe einmal gesagt, wir lernen aus der Geschichte, dass wir überhaupt nichts lernen. "Russische Künstler verstehen das besser als alle anderen."
Sendung: Leporello, 15.12.2023 ab 16:05 Uhr.
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