Bereits im Jahr 2016 tourte das vom Verein "Zuflucht Kultur" organisierte Musiktheaterprojekt "Zaide. Eine Flucht", in dem Mozarts Oper von geflohenen Künstlern neu erzählt wird, durch Deutschland. Mittlerweile hat die Realität allerdings die Produktion eingeholt. Ahmad Shakib Pouya, einer der Hauptdarsteller, soll abgeschoben werden. Inzwischen bekommt er Unterstützung von dem ehemaligen Bayerischen Wissenschaftsminister Goppel und der Deutschen Orchestervereiningung (DOV).
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Ahmad Shakib Pouya spielt und singt sein "Zaide-Lied" bei der Probe in der Alten Kongresshalle in München - seine neu betextete Version einer traditionellen türkischen Ballade, in der Pouya auch die eigene Situation verarbeitet. Pouya ist kein Opernstar und trotzdem sind viele Fotografen und Fernsehteams vor Ort - sein Fall beschäftigt unübersehbar die Öffentlichkeit.
Ich dachte, ich bin geschützt in Deutschland.
Afghanistan ist die Heimat des ehemaligen Zahnarztes. Teile des Landes seien "sicher genug", so die Bundesregierung - auch nach dem schweren Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Sharif im November 2016. Bereits seit sechs Jahren lebt Ahmad Shakib Pouya in Deutschland, hat hier Familie und nach islamischem Recht geheiratet. Der 33-Jährige bekam mehrere Stellenangebote, etwa von der IG Metall als Dolmetscher. Pouya engagiert sich ehrenamtlich - er ist geduldet. Kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr soll Pouya dann doch abgeschoben werden. Buchstäblich in letzter Sekunde erhält er einen Aufschub für drei Wochen. Nun soll er am 20. Januar 2017 "freiwillig ausreisen". Sein Fall wird derzeit noch in der Härtefallkommission behandelt - das Ergebnis steht noch aus.
Mozarts "Zaide" ist ein erster Vorläufer der "Entführung aus dem Serail". Es geht um Sklaverei, Willkürherrschaft und die Flucht der beiden Sklaven Zaide und Gomatz, die am Hof von Sultan Soliman ein Liebespaar sind. Beide wollen fliehen, schaffen es in Mozarts Original aber bis zuletzt nicht - zumindest in der hinterlassenen Fassung. An entscheidender Stelle hat der Komponist die Arbeit abgebrochen, das Werk ist Fragment geblieben.
Die Initiatorin und Mezzosopranistin Cornelia Lanz hat mit ihrem Verein "Zuflucht Kultur" die Unfertigkeit von Mozarts Werk zum Anlass genommen, eine ungewöhnliche Inszenierung auf die Beine zu stellen. In ihr werden die originalen Bausteine aus Mozarts Partitur mit Beiträgen von geflüchteten Musikern, Tänzern und Schauspielern aus Afghanistan, dem Irak, Iran, Pakistan, Nigeria und Syrien verbunden. Zentrales Thema ist dabei die Flucht aus dem eigenen Land, die aus den unterschiedlichen Perspektiven der geflohenen Künstler beschrieben wird. Die Beteiligten kommen mit ganz verschiedenen Voraussetzungen: Es gibt Musiker, Sänger und Tänzer mit jahrelanger Bühnenerfahrung, für andere dagegen ist alles neu. Das Orchester nennt sich "Ensemble Zuflucht" und besteht aus Musikern der Münchner Philharmoniker und Symphoniker, des Bayerischen Staatsorchesters, der Augsburger Philharmoniker, des Staatstheaters am Gärtnerplatz und der Staatsoper Stuttgart.
Und auch das Publikum wird plötzlich fragend dasitzen und nichts mehr verstehen.
Mitten in der Aufführung von "Zaide. eine Flucht" wird die am Leben der Flüchtlinge orientierte Geschichte plötzlich auf das Publikum übertragen: Eine Szene wird in dem Singspiel nicht auf Deutsch, sondern Arabisch vorgetragen. Cornelia Lanz will bei den Zuschauern das Gefühl hervorrufen, sich nicht mehr zurechtzufinden - wie in einem feindlichen, fremden Land.
Hauptdarsteller Ahmad Shakib Pouya | Bildquelle: BR Die erste Version der Flüchtlings-Zaide hatte Sommer 2016 Premiere - in Augsburg. Für die Münchner Fassung wurde die Handlung an die aktuellen Ereignisse angepasst. Teil des Bühnengeschehens war bisher die fiktive Abschiebung aller Darsteller und der Orchestermusiker. Ironie der Geschichte: Nur Pouya blieb in seiner Rolle allein auf der Bühne zurück. Da nun ausgerechnet er tatsächlich von Abschiebung bedroht ist, kam es den Machern zynisch vor, diese Inszenierung beizubehalten. In der neuen Version der "Zaide" bleibt nun also offen, wie die Geschichte für alle Beteiligten ausgeht.
"Zaide. Eine Flucht" war schon 2015 mit Profis und Flüchtlingen unter Anderem in Stuttgart und Augsburg zu sehen. Dass die Inszenierung nun wie geplant aufgeführt werden konnte, obwohl bei Pouya bereits die Polizei vor der Tür stand, geht auf die Fürsprache des ehemaligen bayerischen Wissenschaftsministers Thomas Goppel zurück, der an höchster Stelle ein gutes Wort eingelegt hat, so der Münchner Geiger und Organisator Albert Ginthör. Inzwischen hat sich auch die Deutsche Orchestervereinigung eingeschaltet und einen Brief mit der Bitte um Unterstützung für Pouya an den Innenminister Joachim Herrmann und die Landtagspräsidentin Barbara Stamm verschickt. "Gerade westlich orientierten Künstlerinnen und Künstlern droht in Afghanistan Verfolgung und Tod, weil die Taliban Musikausübung strikt ablehnen", betonte Gerald Mertens, Geschäftsführer der DOV. Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth äußerte sich unterstützend bei ihrem "Zaide"-Besuch am 13. Januar: "Es wäre ein Zeichen eines starken Staates, wenn Menschen, die so viel zu unserer Gesellschaft beitragen und sich ehrenamtlich und künstlerisch engagieren, auch eine Lebensperspektive in Deutschland bekommen."