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Salvatore Sciarrino zum 70. Geburtstag Italienischer Avantgardist mit Kultstatus

Die Kompositionen des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino tragen Namen wie "Graffito sul mare" oder "Allegoria della notte". In der zeitgenössischen Musikszene genießt der Italiener Kultstatus. Am 4. April feierte er seinen 70. Geburtstag.

Bildquelle: Luca Carrà / Rai Trade

Wenn Salvatore Sciarrino durch seine heutige Heimatstadt Città di Castello in Umbrien spaziert, verweilt er gerne an den alten Mauern der romanisch-gothischen Torbögen und Renaissance-Gebäude. Dann tastet er die Struktur der Gemäuer ab, erspürt die Rillen und Erhebungen. Zuhause am Schreibtisch fließen diese Eindrücke zusammen - in Stücken, die aus der Stille kommen, die zu ungeahnter Kraft aufbrausen, bevor sie schließlich erneut am Rande der Unhörbarkeit enden.

Die Stille war immer in unserer Kultur. Und wir müssen das wieder finden.
Salvatore Sciarrino         

Als Kind entdeckt der 1947 in Palermo geborene Salvatore Sciarrino seine Leidenschaft für Farben, für die Malerei, bevor er sich für Töne und deren spektrale Wirkung interessiert. Als 12-Jähriger erarbeitet er sich autodidaktisch das Komponieren und studiert schließlich bei Franco Evangelisti in Rom. Erste internationale Aufmerksamkeit erfährt Sciarrino 1966 mit der Sonata für zwei Klaviere. Mit der Berceuse für Orchester, uraufgeführt am 13. September 1969 beim Festival für zeitgenössische Musik in Venedig, knüpft er an den Erfolg an.

Orpheus-Mythos als Violinkonzert

Carolin Widmann | Bildquelle: Astrid Ackermann Carolin Widmann 2013 bei der musica viva | Bildquelle: Astrid Ackermann Die Titel von Sciarrinos Stücken klingen oft etwas skurril. So wie der einer Komposition für Flöte solo, mit der sich 2015 sechs Semifinalisten beim ARD-Musikwettbewerb im Fach Flöte auseinanderzusetzen hatten: Autostrada prima di Babilonia. Ein Violinkonzert von 2013 ist überschrieben mit Giorno velato presso il lago nero - zu Deutsch Verhüllter Tag am schwarzen See. Gemeint ist der See, über den Orpheus in die Unterwelt gelangt. Die Geigerin Carolin Widmann hat das Stück bei einem Konzert der musica viva mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Jonathan Nott uraufgeführt.  

Unter Sciarrinos Opern ist Luci mie traditrici von 1998 die erfolgreichste. Ein Zweiakter über den Renaissance-Kriminalfall Gesualdo - die Geschichte des Aristokraten, der von seiner Frau mit einem anderen betrogen und deshalb zum Doppelmörder der beiden wird. Sciarrino macht daraus kein expressives Drama im klassischen Sinn, sondern eine Horrorkomödie mit leisen Tönen, die wie ein Hitchcock-Krimi anmutet.

Das ist nicht mehr die traditionelle Erzählung auf der Bühne, sondern die durch die Kamera.
Salvatore Sciarrino über seine Oper Luci mie traditrici

Musik wie Atmen und Lidschlag

Szenenbild aus "Luci Mie Traditrici" an der Staatsoper Berlin von Salvatore Sciarrino | Bildquelle: dpa/Eventpress Hoensch "Luci Mie Traditrici" Oper von Salvatore Sciarrino | Bildquelle: dpa/Eventpress Hoensch Wir hören nur, was wir kennen, sagt Salvatore Sciarrino. Wenn wir etwas zum ersten Mal hören und es kein zweites Mal gibt, dann existiert es nicht. Die Wiederholung ist für ihn eine unterschwellige Konstante seines Komponierens - wie das Atmen oder der Lidschlag. Wie etwas, ohne das kein Leben möglich ist. Nur auf einer bekannten Erfahrung, so Sciarrino, könne man aufbauen, könne dann etwas Neues erwachsen.

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