Sein Programm sei nicht mutig genug, wird dem Salzburger Intendanten Markus Hinterhäuser gerade ziemlich einhellig in den deutschen Feuilletons vorgeworfen. Und für den Opernbereich mag da was dran sein. Da liest sich fast jede einzelne Produktion durchaus verheißungsvoll, aber die Festspiele setzen schon sehr auf Bewährtes. Ganz anders bei den Konzerten. Beim offiziellen Eröffnungskonzert am 20. Juli stand ein Stück aus dem Jahr 1991 auf dem Programm: "Eclairs sur l’au-delà" von Olivier Messiaen. Am Pult: Ingo Metzmacher.
Bildquelle: Anja Frers
Das große Zwitschern bricht los. Zehn Flöten und acht Klarinetten geben ein ohrenbetörendes und die Sinne verwirrendes Vogelkonzert, wie es Olivier Messiaen liebte. 1988 wurde der 80. Geburtstag des französischen Komponisten gefeiert. Auf der ganzen Welt gab es Konzerte ihm zu Ehren. Messiaen reiste rund um den Globus, bis nach Australien. Und was tat er dort, außer sich feiern zu lassen auf Konzerten und Empfängen? Er stand in aller Herrgottsfrühe auf, lange vor Sonnenaufgang, und durchstreifte, mit einem Notizbuch bewaffnet, die Wälder - um Vögeln zu lauschen, Motive und Rhythmen zu sammeln. Fast sein ganzes Leben lang hatte er das gemacht, in Griechenland, Südostasien, Kanada – und natürlich in seiner französischen Heimat. Diese Vogelnotizen verwendete er dann, verwandelt in spielbare Töne, in seinen Kompositionen.
Eclairs sur l’au-delà – das heißt übersetzt etwa: Blitzlichter aufs Jenseits. Damit meinte der gläubige Katholik Messiaen den Himmel, wie er in der Bibel beschrieben wird. Und der war – man hört es – in Messiaens Fantasie bevölkert nicht nur von den Erlösten, sondern auch voller Vögel. 1991, mit 83 Jahren, knapp ein Jahr vor seinem Tod, vollendete Messiaen sein letztes Orchesterwerk. Völlig unbefangen mischt er vertrackteste Avantgarde-Techniken mit süßestem Wohlklang. Es ist ein himmlisch bunter Bilderbogen im Breitwandformat. 75 Minuten, 11 Sätze, 128 Instrumente – ein Mammutorchester mit Windmaschine, einer riesigen Batterie von Gongs und Schwärmen von Holzbläsern.
Das Eröffnungskonzert (Ouverture spirituelle) der Salzburger Festspielen mit "Éclairs sur l'Au-delà" von Olivier Messiaen sendet BR-KLASSIK am 9. August 2023 um 18.05 Uhr in der Festspielzeit.
Wie jedes Jahr starten die Salzburger Festspiele auch in diesem Sommer vor der ersten Opernpremiere mit einer "Ouverture spirituelle", einer spirituell geprägten Konzertwoche. Diese Konzertserie wurde vom ehemaligen Festspielintendanten Alexander Pereira 2012 initiiert, sein Nachfolger Markus Hinterhäuser führt sie fort.
Das SWR-Symphonieorchester klingt wahrhaft paradiesisch unter der souveränen Leitung von Ingo Metzmacher. Die Dynamik reicht von kaum hörbar bis ohrenbetäubend, aber nie brachial. Die Violinen klettern trittsicher und schwindelfrei ganz oben im ewigen Schnee – höher als alle Vernunft und doch bewundernswert intonationssicher. Und das Schlagzeug klöppelt die kompliziertesten Rhythmen mit einer fast lässigen Eleganz.
Sein Werk "Éclairs sur l'Au-delà" aus dem Jahr 1991 eröffnet die Salzburger Festspiele 2023: Olivier Messiaen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Messiaens mystisch-versponnene Frömmigkeit wirkt dabei entwaffnend fröhlich. Ob diese Klangwelt wirklich das göttliche Jenseits aufschließt, muss jeder selbst entscheiden – aber in ein Jenseits des Alltags führt einen diese abenteuerlustige Musik allemal. In unsere beängstigende Gegenwart passen diese ungebrochen positiven Klänge genauso wenig wie in irgendeine andere Zeit. Man kann das eine Flucht nennen – oder auch eine Feier der Fantasie und der schieren Freude an Klang und Rhythmus.
Sendung: "Allegro" am 21. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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