Seit der Staatsgründung Israels – und sogar in den Jahren davor – gibt es im Land einen inoffiziellen Boykott gegen Werke von Richard Wagner. Der Komponist war ein Antisemit und viele sagen: Auch sein Werk ist vom Antisemitismus geprägt. Wagner war Hitlers Lieblingskomponist. In Konzentrationslagern wurden Häftlinge gezwungen, seine Musik zu spielen. Eine Gruppe von Israelis nennt Wagners Musik dennoch „göttlich“ und will im September in Tel Aviv vier Konzerte veranstalten. Israels Kulturminister ist empört. Die Anhänger der Wagner-Musik fordern, Werk und Person zu trennen. Aber geht das?
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Anruf bei Jonathan Livni. Er ist Israeli, Jude und ein großer Anhänger der Musik eines antisemitischen Komponisten: Richard Wagner. Jonathan Livni hört gerade Musik, als er ans Telefon geht, "das Requiem von Verdi. Kein Wagner", sagt er.
Wagner. Richard Wagner. Für viele in Israel sind das Reizwörter. Denn Wagner war ein Antisemit. Er schrieb in einem Aufsatz, Juden seien "unangenehm fremdartig". Sprach ihnen ab, eigene Beiträge zur Kunst zu leisten. Später wurde Wagner von Adolf Hitler und dem NS-Regime verehrt. Häftlinge in Konzentrationslagern wurden gezwungen, Wagner zu spielen. Trotzdem ist Jonathan Livni ein Fan der Musik von Richard Wagner. Er sagt: Wagners Musik ist göttlich. Die Liebe zur Musik – nicht zum Komponisten – vermittelte dem Israeli sein Vater. Der wurde in Deutschland geboren und verlor seine gesamte Familie im Holocaust. "Mein Vater war der einzige, der hierherkam. Und er kam mit seinen Dokumenten aus Deutschland, Bildern von seiner Vergangenheit und 50 Schallplatten von Wagners Musik", erzählt Livni.
Zum Artikel Antisemitismus in der Musik
Wagners Musik soll in Israel im September aufgeführt werden. Jonathan Livni und sein Verein, die israelische Wagner-Gesellschaft wollen damit ein Tabu brechen. Schon vor der Staatsgründung Israels wurde hier ein inoffizieller Wagner-Boykott verhängt. Livni stört das. Er ist grundsätzlich gegen Boykotte. Und verweist darauf, dass in Israel durchaus Werke anderer, antisemitischer Komponisten aufgeführt würden. Von den vielen Volkswagen auf Israels Straßen ganz zu schweigen. Jonathan Livni ruft dazu auf, das Werk Wagners von der Person zu trennen.
So wie jemand die Musik schreibt, gehört die Musik der Welt und es ist nicht wichtig, wer es geschrieben hat.
Wagner-Gegner in Israel könnten entgegnen, dass nicht nur Wagner antisemitisch war. Sondern auch dessen Werk. Etwa mit antisemitischen Stereotypen in Wagners Opern. Jonathan Livni will in Tel Aviv insgesamt vier Konzerte veranstalten. Wo genau, will die Wagner-Gesellschaft noch nicht verraten. Weil es dann zu Protesten kommen könnte. Ein Symphonieorchester aus Haifa hat Livni bereits abgesagt. Auch Israels Kulturminister ist gegen die Pläne. Mittlerweile läuft eine Anfrage beim Symphonieorchester Jerusalem. Von dort bislang: Kein Kommentar.
Im Jahr 2001 erklang Tristan und Isolde in Jerusalem. Dirigiert von Daniel Barenboim. Der spielte Wagner als eine Art Zugabe. Hatte das vorher mit dem Publikum besprochen. Manche im Publikum waren begeistert. Andere verließen Türe knallend den Saal.
Der Israeli Ofer Waldman ist Journalist, Hornist und spielte in mehreren Orchestern in Deutschland. Auch Musik von Richard Wagner. Natürlich sei da eine Faszination des Verbotenen, die mitschwang, sagt er. " Ich habe in Israel kein Wagner gespielt. Wagner wird in Israel nicht gespielt."
Was sich im Herbst ändern soll. Der Hornist Waldman kennt das Argument, Wagner-Gegner in Israel müssten ja nicht ins Konzert gehen. Trotzdem hält er Konzerte mit Werken des Komponisten für keine gute Idee, solange es Holocaust-Überlebende in Israel gebe, die dadurch verletzt würden, dass Wagner hier gespielt werde. Waldmann meint: " Wer Wagner unbedingt live hören möchte, kann doch getrost in irgendeinen Flieger steigen. Nach Österreich, Deutschland, irgendwo wo Wagner aufgeführt wird."
Natürlich kennt der Musiker und Journalist auch die Argumente der Wagner-Anhänger, dass Werke anderer antisemitischer Komponisten in Israel zu hören sind. Also, wieso Strauss in Israel gespielt werden darf, wenn Wagner nicht gespielt werden darf? "Aber ich glaube tatsächlich, der Grund ist, weil Wagner zum Symbol geworden ist. Nicht nur aufgrund seiner Veröffentlichungen bezüglich Juden in der Kultur. Sondern weil er auch für die Nationalsozialisten ein Symbol war."
Jonathan Livni von der israelischen Wagner-Gesellschaft hofft, es in diesem Jahr endlich zu schaffen und Wagner abendfüllend auf eine Bühne in Israel zu bringen. Eine Sache ist Livni wichtig: Zu betonen, dass er und seine Mitstreiter Wagner und dessen Ansichten nicht verharmlosen. Sein Vater habe ihm gesagt, dass da ein scheußlicher Mensch die schönste Musik geschrieben habe. Und er fügt hinzu: "Wenn ich sterbe, werde ich den lieben Gott fragen: Wie war es möglich, dass jemand, der so ein schrecklicher Mann war: Wie hat Gott ihm so eine Begabung gegeben um solch wunderschöne Musik zu schreiben? Ich verstehe es nicht. Aber Musik ist Musik."
Sendung: "Allegro" am 24. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 25.Mai, 01:14 Uhr
Hilla Piepenbring
Wagner
Hören Sie das Vorspiel zu Lohengrin. Kann so eine himmlische Musik von einem schlechten Menschen komponiert werden.? Wagner war zu Hitlers Zeit längst tot und hätte sich im Grab gedreht,hätte er gewußt, daß Bomber mit dem "WalkürenRitt "Kriegseinsätze fliegen mussten. "Wahn, Wahn überall Wahn" (Meistersinger, Hans Sachs)
Dienstag, 24.Mai, 14:06 Uhr
Alexander Störzel
Wagner-Fans planen den Tabubruch
Ich habe mich in dem vorigen Artikel ausführlich dazu geäußert und möchte mich nicht wiederholen.
Nun frage ich:
Haben wir bei der derzeitgen Weltlage keine anderen Probleme, bzw. dürfen wir nicht glücklich sein dass wir noch Musik hören und Opernaufführungen erleben können.
Bekanntlich sagte Woody Allen wenn er Wagner hört müsse in Polen einmarschieren.
Nein, der große Filmregisseur irrt. "Die Walküre" ist ein Kriegsstück aber nicht kriegsverherrlichend. Die tiefere Botschaft ist die Liebe und der freie Mensch,
dem der Wille zur Macht entgegensteht.
Die Diskussion Wagner in Israel Ja oder Nein dreht sich im Kreis.