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Der Dirigent Frieder Bernius "Ich bin ein Kind meiner Zeit"

Mit dem von ihm gegründeten Kammerchor Stuttgart hat er die Historische Aufführungspraxis mit beeinflusst: Frieder Bernius. Am 22. Juni feiert der Dirigent seinen 70. Geburtstag. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht er unter anderem über die Musik Bachs und über seinen Umgang mit dem Glauben.

Bildquelle: © Gudrun Bublitz

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Frieder Bernius, Sie sind am 16. Juni beim Fränkischen Sommer in Fürth zu Gast. Dort leiten Sie den Kammerchor und das Barockorchester Stuttgart mit einem Bach-Programm, das sehr lutherisch geprägt ist. Zu diesem Bach-Programm gehört die Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" BWV 80. Welche Werke haben Sie sonst noch aus dem Kontext Luther-Bach ausgewählt?

Frieder Bernius: Noch eine weitere Kantate, "Gott der Herr ist Sonn und Schild", BWV 79. Und zu Beginn des Konzerts führen wir eine seiner sogenannten Kurzmessen auf - auch genannt "Lutheranische Messen". Luther wollte nämlich nicht die ganze Messe feiern, sondern hat sich auf das Kyrie und Gloria beschränkt, und Bach hat es ihm gleichgetan: Er hat vier Kurzmessen komponiert.

Frieder Bernius - Wichtige Stationen

  • 22. Juni 1947: geboren in Ludwigshafen
  • Studium in Stuttgart und Tübingen, u.a. bei Sergiu Celibidache und Otmar Suitner
  • 1968: Gründung des Stuttgarter Kammerchores
  • Seit Mitte der Achtzigerjahre verstärkte Beschäftigung mit der Historischen Aufführungspraxis
  • 1987: Gründung der Internationalen Festtage Alter Musik (heute: "Festival Stuttgart Barock")
  • 1991: Gründung des Barockorchesters Stuttgart, spezialisiert auf Musik des 18. Jahrhunderts, dargeboten in Historischer Aufführungspraxis
  • 2006: Gründung der Hofkapelle Stuttgart, spezialisiert auf Musik des frühen 19. Jahrhunderts, musiziert auf historischen Instrumenten
  • 2009: Bernius erhält die Bach-Medaille der Stadt Leipzig
  • Zahlreiche Schallplattenaufnahmen, vorwiegend mit Chor- und vor allem Geistlicher Musik vom Barock bis zur Gegenwart

BR-KLASSIK: Sie selbst stammen ja aus einem Pfarrhaus …

Frieder Bernius: Es hat sich jetzt herumgesprochen. (lacht)

BR-KLASSIK: … und so haben Sie den Zugang zur Musik und auch zu Bach bekommen. Nun haben wir 2017 das Luther-Jahr. Was sagt Ihnen Luther heute?

Frieder Bernius: Ich komme aus der Kurpfalz. Das liegt genau zwischen Worms und Speyer. Dort bin ich aufgewachsen - wo Luther gesagt hat "Hier stehe ich, ich kann nicht anders". Das ist also eine geschichtsträchtige Gegend, und die hat mich natürlich - ganz unabhängig von meinem Vater, der dort Gemeindepfarrer war, geprägt. Wie sich das jetzt auf meine Interpretation der Musik Bachs auswirkt, das wäre ein anderes Thema.

Das ist eine hohe Aufgabe für den Interpreten: zu zeigen, welchen Geist die Musik bietet.
Frieder Bernius

BR-KLASSIK: Wenn ich die Musik von Bach höre, geht es mir oft so, dass ich das Gefühl habe: Das ist ein Kosmos, über dem ganz klar Gott - oder der Glauben - präsent ist. Erleben Sie das auch so?

Frieder Bernius: Das glaube ich schon. So eine Musik kann man gar nicht schreiben, wenn man nicht genau hinter dem zu vertonenden Text steht. Und Bach wollte, wie das im 18. Jahrhundert üblich war, genau das, was in den Texten steht, herausmeißeln. Das ist eine hohe Aufgabe für den Interpreten: dies deutlich zu machen und zu zeigen, welchen Geist diese Musik bietet.

Ich muss verstehen, was der Komponist geglaubt hat.
Frieder Bernius

BR-KLASSIK: Nun haben wir ja gerade die ARD-Themenwoche zum Thema Glaube. Was bedeutet Glaube für Sie persönlich?

Frieder Bernius | Bildquelle: Gudrun Bublitz Frieder Bernius | Bildquelle: Gudrun Bublitz Frieder Bernius: Nun ja, das ist eine sehr intime Frage. Das wird wohl während dieser ganzen Woche so sein - dass, wenn diese Frage gestellt wird, die Leute erst einmal sagen: Das ist eine Sache, die ich für mich behalten möchte. Ich muss die Frage als Musiker beantworten dürfen. Ich habe natürlich viel mit Vokalmusik und natürlich auch Geistlicher Musik zu tun, und ich muss verstehen, was der Komponist geglaubt hat. Das verstehe ich, wenn ich seine Musik analysiere. Es geht also weniger um mich. Ich muss als Musiker das herausbringen, was der Komponist mit diesem Text gemacht hat, und dann ist die Frage nach dem eigenen Glauben sekundär.

BR-KLASSIK: Herr Bernius, am Juni feiern Sie ihren siebzigsten Geburtstag …

Frieder Bernius: Auch das noch, ja! (lacht)

Für mich ist die Historische Aufführungspraxis etwas ganz Selbstverständliches.
Frieder Bernius

BR-KLASSIK: Wenn Sie jetzt Ihre Entwicklung überblicken - auch wie Sie zur Historischen Aufführungspraxis gekommen sind -, würden Sie sagen, dass diese Entwicklung auch exemplarisch ist für die Entwicklung der letzten Jahrzehnte?

Frieder Bernius: Ich denke schon; ich bin ein Kind meiner Zeit. Aufgewachsen bin ich mit der romantischen Tradition der Interpretation von Barockmusik; dann konnte ich mich der Entwicklung nicht entziehen, die in den Achtzigerjahren mit der Historischen Aufführungspraxis begonnen hat. Für mich ist diese Aufführungspraxis etwas ganz Selbstverständliches. Man sagte: So wie damals gesprochen wurde, so soll auch diese Musik sprechend klingen. Früher war das nicht so; da wurde die Bach'sche Musik so aufgeführt, als ob sie immer nur singen würde. Es wichtig, das zu verstehen. Wir spielen ja einen Halbton tiefer und sind deswegen authentischer, adäquater. Diese Spielweise ist nämlich für die Verbindung von Stimmen und Instrumenten eine ideale - es verschmilzt alles viel besser.

BR-KLASSIK: Als Sie den Kammerchor Stuttgart gründeten, waren Sie etwa zwanzig Jahre alt. Zu der Zeit, als dann diese Historische Aufführungspraxis in Ihr Leben trat, muss es ja einen unglaublichen Pioniergeist gegeben haben. Ist es eigentlich wichtig, diesen aufrecht zu erhalten? Haben Sie ihn immer noch?

Frieder Bernius: Der Chor ist tatsächlich 1968 gegründet worden. Wenn Sie darauf anspielen - ja, ich glaube schon, dass mich diese Zeit beeinflusst hat. Das sehen Sie zum Beispiel am Komponisten Mendelssohn, der damals noch so unbekannt war wie, naja, vor 1945. Da haben wir sicher mit Pioniergeist etwas erreicht. Wir haben mit dem Kammerchor Stuttgart schon auch ein wenig versucht, uns von dem Stil abzusetzen, in dem damals allgemein im Chor gesungen wurde. Damals haben die professionellen Chöre vor allem nach Stimmmaterial ihre Sänger gesucht - weniger danach, ob sie auch ensemblefähig waren. Inzwischen ist das alles viel besser geworden, und ich denke, so eine Gründung wie die unsere war schon wichtig für die Gründung des Chorwesens.

Die Fragen stellte Elgin Heuerding für BR-KLASSIK.

(Sendung: "Leporello" am 16. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK)

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