Das Staatstheater Stuttgart steht vor großen Herausforderungen: Eine Generalsanierung für 343 Millionen Euro steht an, Ausweichquartiere müssen gefunden werden. Noch-Intendant Jossi Wieler erklärt, warum eine Renovierung nicht mehr aufschiebbar ist.
Bildquelle: Martin Sigmund
BR-KLASSIK: Herr Wieler, welche baulichen Veränderungen stehen dem Haus denn nun bevor?
Jossi Wieler: Das von Max Littmann 1912 erbaute Theater ist sozusagen eine "alte Dame", bei der ein "Lifting" nicht mehr reicht. Es muss wirklich von Grund auf vieles erneuert werden. Die Bühne müsste verbreitert werden, es gibt keine richtige Seiten- und Hinterbühne, sodass man auf Dauer keinen vielschichtigen Repertoirebetrieb führen kann. Wir versuchen das aktuell mit Mühe und Not. Man bräuchte eine sogenannte Kreuzbühne, wo man ein Bühnenbild einfach verschieben kann und ein anderes Bild steht dann da. Wir müssen bei einer Sanierung auch wirklich daran denken, wie wir in 40 Jahren Oper machen wollen. Wird Oper diesen Stellenwert haben? Und wenn ja, was müssen wir dafür tun?
BR-KLASSIK: Sie haben in den vergangenen Jahren als Intendant viele gefeierte Produktionen auf die Bühne gebracht. Stuttgart wurde mehrfach auch als Opernhaus des Jahres ausgezeichnet. Worauf haben Sie in dieser Zeit am häufigsten verzichten müssen?
Jossi Wieler: Wir müssen auf einen vielschichtigeren Repertoirebetrieb verzichten. Wir können eigentlich nur drei Produktionen parallel spielen. Wenn dann eine Produktion wieder abgespielt ist, kann die nächste kommen. Das hat etwas mit den Dimensionen der Bühnenbilder und den technischen Rahmenbedingungen zu tun. Die Computer für die Bühnentechnik sind noch aus der ersten Computergeneration, aus den Achtziger Jahren. Es gibt dafür keine Ersatzteile mehr, die jungen Bühnentechniker kennen solche Geräte nicht mehr. Außerdem gibt es keine eingebaute Drehbühne, wir müssen dann immer eine Drehscheibe aufsetzen, die aber wieder viel Platz braucht. Daher gibt es nicht viel, was man daneben parallel im Repertoire spielen kann.
BR-KLASSIK: Als Begründung dafür, dass Sie jetzt die Intendanz nicht verlängern, sagten Sie, dass Sie lieber wieder Opern- und Schauspielregie führen möchten. Partituren, Regiekonzepte und Künstlerverträge lesen sich ja vielleicht auch ein bisschen leichter als Baupläne. Die Experten gehen davon aus, dass die Sanierung mindestens 7 Jahre dauern wird. War es letztendlich doch der große Umbau, der Sie von einer Verlängerung abgehalten hat?
Jossi Wieler: Der Umbau ist nicht der Grund für meine Entscheidung. Ich würde das auch nicht begleiten können in die zweite Hälfte der 20er Jahre, ich wäre dann Ende 70. Meine Entscheidung ist wirklich aus künstlerischen und auch privaten Gründen gefallen.
BR-KLASSIK: Der Kelch, dass Sie hier als Baustellen-Intendant und Ausweichspielstätten-Manager arbeiten müssen, geht also an Ihnen vorüber. Das wird Viktor Schoner vorbehalten bleiben, Ihrem Nachfolger.
Jossi Wieler: Ja, ich glaube, Viktor Schoner versteht den Geist dieses Hauses, weil er sich viele Produktionen in der Vergangenheit angeschaut hat. Damals ging es noch gar nicht darum, dass er hier Intendant werden würde. Ich wünsche ihm für diese große Aufgabe viel Glück und ich glaube, er wird dieses Haus in einer guten Form in die Zukunft begleiten wird.
Das Gespräch führte Dorothea Hußlein für BR-KLASSIK.