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Montag, 05.04.2021

15:50 bis 16:10 Uhr

ARD alpha

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Bildquelle: BR

alpha-retro: Münchner Viertel alpha-retro: Münchner Viertel

Verborgenes München (1958)

Gertrud Simmerding drehte zum 800. Geburtstag Münchens ein Porträt dieser Stadt, das sich nicht auf die allseits bekannten Berühmtheiten und Wahrzeichen stürzt. Sie versucht vielmehr, verborgene Winkel, Gassen, Plätze und Straßen zu finden, die nicht nur etwas von der Vergangenheit sondern auch von der Gegenwart Münchens erzählen. Ihr zeittypisches Porträt geriet ihr dabei zur Liebeserklärung. Und heutige Münchenkenner rätseln an vielen Stellen des Films, wo diese denn aufgenommen worden sind.

Mitwirkende

 
Redaktion Martin Posselt
Zum 800. Geburtstag der Stadt München drehte Gertrud Simmerding einen Film über München, der eher die verborgenen Orte und Winkel der Stadt vors Objektiv nahm. „Ich möchte sie einladen… mit mir zu kommen durch stille Gassen und Gärten und sich die Menschen anzusehen, die dieser Stadt ihr Gesicht geben.“ Nicht ganz unabsichtlich verfasst sie dabei auch noch eine wahre Liebeserklärung an München. Und Kameramann Kurt Schraudenbach gelingen zum niederknien schöne Aufnahmen von München.
Wer errät all die Stellen, die in diesem Film vorkommen? Wer erkennt sie? Selbst beste Münchenkenner dürften sich da schwertun, so sehr hat sich München seit damals verändert. Hinzu kommt, dass die Autorin wirklich versteckte Flecken und kleine Gassen kennt, die wohl schon damals nicht allen Münchnern geläufig waren. Und wer erkennt all die alten Automarken? Eine Isetta und ein Goggomobil erkennt man sofort, aber all die anderen? Die meisten Menschen fuhren damals aber eh Fahrrad oder gingen zu Fuß. Frau Simmerding folgt den Kindern in verwunschene Hinterhöfe mitten in der Altstadt und bei den mehrere Hundert Jahre alten windschiefen Häusern in der Gasse „Am Gries“, vor denen die Wäsche geradezu pittoresk auf der Leine hängt, fragt sie bang: „Wie lange noch?“ Heute wissen wir es: nicht mehr lang.
Nach Abstechern u.a. zum alten Südfriedhof, in den Englischen Garten, zur Auer Dult und in ein damals schwer angesagtes Eiscafé gelangt der Film selbstverständlich auch nach Schwabing: „Das ist nicht nur ein Künstlerviertel mit Eis essenden Jazzfans, es ist auch ein behaglicher altmünchner Winkel mit Gaslaternen und Spitzwegmilieu.“ Dieses würde einem Betrachter von Schwabing heute wohl kaum mehr einfallen. Gegen Abend wurden damals noch die Kinder losgeschickt, um am Straßenausschank einer Gaststätte im mitgebrachten Krug ein Bier zu holen, denn „in den Lauben und Gärten fängt jetzt ein behagliches Leben an.“ Ach ja, kann man da voller Neid nur sagen, und man sieht, wie ein Bub verschmitzt den gefüllten Bierkrug vor sich hertragend in einem schwabinger(!) Garten verschwindet. Und gleich danach packt auf der Straße der Lumpen-, Blech-, Papier- und Kartonagensammler noch einen Karton mit „wertvollem“ Abfall auf den Anhänger an seinem Fahrrad – interessiert beobachtet von einem kleinen Mädchenkopf hinter den Latten eines Gartenzauns.
Als es langsam Abend wird, gibt es in der berühmten – heute leider auch nicht mehr existierenden – Kunstbuchhandlung Goltz die Möglichkeit zum Schmökern weit über die Ladenschlusszeit hinaus. „Eine Tasse Kaffee wird angeboten und sein Duft zieht mit der Stille der Lesenden durch den Raum.“ Und dann, in der Dunkelheit, geht es in ein Filmkunstkino in Schwabing, in dem bei günstigen Preisen auf harten Stühlen die besten Filme aus der ganzen Welt laufen. So kam eben auch damals schon die weite Welt ins scheinbar noch kleine und beschauliche München – zumindest für den, der sich dafür interessierte.

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