Sie gelten als schwer erziehbar, seelisch gestört oder geistig behindert. Über 100.000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland nicht bei ihren Familien, sondern in einem Heim. Dort sollen sie professioneller betreut werden, und dort soll ihnen optimal geholfen werden.
Doch was passiert hinter den Türen der Heime? Die Verbindung zur Außenwelt ist oft schwierig, Handys und Internet sind in vielen Einrichtungen tabu, Kontakte zu alten Freunden oftmals verboten. Recherchen des Bayerischen Rundfunks brachten im April dieses Jahres zu Tage, dass das Leben in Heimen für viele Kinder von Zwangsmaßnahmen geprägt ist. Wer aggressiv ist, muss in einen sogenannten Time-Out-Raum. Einschlüsse ins eigene Zimmer kommen bei Kindern mit Behinderung ebenso vor wie in abschließbare Betten.
Nik ist ein fröhlicher Junge. Er liebt Schaukeln, Motoren und seine kleine Schwester. Doch Nik kann auch ausflippen, dann schlägt er wild um sich und verletzt jeden in seiner Nähe. Der 17-Jährige hat eine geistige Mehrfachbehinderung. Als seine Eltern die 24-Stunden-Pflege des Sohnes nicht mehr leisten können, beschließen sie schweren Herzens, ihren Sohn in einem Heim betreuen zu lassen. Doch sie finden keine Einrichtung, die bereit ist, Nik in einer offenen Gruppe aufzunehmen. Schließlich willigen sie ein, dass ihr Sohn in eine geschlossene Einrichtung kommt und dort freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ausgesetzt werden kann. Für sie ist dieser Gedanke eigentlich unerträglich, doch sie wissen keinen anderen Ausweg.
Alice hat psychische Probleme und Eltern, die sich nicht um sie kümmern können. Seit ihrem fünften Lebensjahr hat sie in Heimen gelebt. Irgendwann begann sie wegzulaufen und kam in eine geschlossene Abteilung eines Heimes in Gauting. Sie erlebt zwar dort auch Zuwendung, vor allem aber fühlt sie sich durch die strengen Regeln in ihrer Privatsphäre verletzt.
Experten sehen es kritisch, wenn Erziehung im Heim unter Zwang stattfindet und Kinder im Extremfall eingesperrt werden. Derartige Erfahrungen können Kinder nachhaltig traumatisieren und eine langfristige Störung der Psyche auslösen, warnt beispielsweise der Bindungsforscher Prof. Karl-Heinz Brisch. Auch juristisch ist der Einsatz von Zwangsmaßnahmen nicht unumstritten. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen müssen diese bei Kindern im Heimen nicht von einem Richter genehmigt werden. Es reicht die Zustimmung der Eltern. Familienrichter fordern inzwischen eine klare gesetzliche Regelung und auch auf Bundesebene liegt ein Gesetzesentwurf für eine Neuregelung vor. Auch in Bayern haben die Recherchen des Bayerischen Rundfunks für Bewegung gesorgt, denn Sozialministerin Emilia Müller hat einen Expertenrat einberufen, der die Vorwürfe gegen bayerische Heime für behinderte Kinder überprüfen soll. Das Ergebnis: Sieben grobe Verstöße. Einige Heime müssen ihre Richtlinien überarbeiten, andere ihre Time-Out-Räume schließen, da sie keine Einsicht durch das Aufsichtspersonal gewährleisten.
Auch Heime der Jugendhilfe geraten immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit: In Nord- und vor allem Ostdeutschland haben Fälle von Misshandlungen in Kinderheimen die Öffentlichkeit schon länger erschüttert. Doch die Aufarbeitung ist bis heute nicht abgeschlossen, wie zum Beispiel in einem Heim in Brandenburg, der Haasenburg, wo es sogar zu Todesfällen kam.
Der Film lässt betroffene Jugendliche und Eltern zu Wort kommen, zeigt aber auch die großen Belastungen und Herausforderungen, denen das Pflegepersonal ausgesetzt ist. Pädagogen, Psychiater, Rechtsexperten und Kriminologen äußern sich zu diesem wichtigen Thema, welches in Deutschland immer noch mit großen Tabus behaftet ist.