Bildquelle: Harmonia Mundi
Am 9. März 1726, noch in der Fastenzeit, bescherte Telemann dem Hamburger Opernpublikum eines seiner Meisterwerke: das "Musikalische Drama" Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe. Eine neue Lesart des altbekannten Mythos um den thrakischen Sänger die deutlich macht, dass die Orpheus-Sage weit mehr hergibt als ein Rührstück zum Thema Gattentreue.
Die heimliche Hauptfigur ist Orasia, die verwitwete Königin von Thrakien. Sie liebt Orpheus und hasst ihn bis zur Raserei, weil er Eurydike den Vorzug gibt. Der versierte Opernkomponist nutzt den Stoff für ein Duodrama ungezügelter Leidenschaft und lotet den folgenreichen Aufeinanderprall zweier grundverschiedener menschlicher Charaktere musikalisch nuanciert aus. Auf der einen Seite der introvertierte Dichter Orpheus, sanftmütig und beseelt von den Schönheiten der Natur, auf der anderen Seite Orasia, herrschsüchtig und gewohnt, ihre Ziele mit Unnachgiebigkeit zu erreichen. Ihre Konkurrentin Eurydike lässt sie durch einen Schlangenbiss ins Jenseits befördern, Orpheus opfert sie. Am Schluss wählt sie den Tod - aus Einsamkeit, und um noch in der Unterwelt die Vereinigung von Orpheus und Eurydike zu verhindern.
Telemann begegnet den widerstreitenden Emotionen seines Protagonisten-Paars mit einer brillanten Synthese musikalischer Formen und Stile, so wie es damals Praxis war in Hamburgs Opernhaus am Gänsemarkt: deutsche Rezitative und Arien sowie italienische und französische Arien und Chöre verschmelzen zu einem europäischen Gesamtkunstwerk.