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Eine Lebensweisheit, ein origineller Gedanke, eine erhellende Erkenntnis, ein Geistesblitz, jeweils mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht - dies nennt man in der Literatur einen Aphorismus. Auch in der Musik gibt es ihn, wohl zuerst im lyrischen Klavierstück der Romantik, dem sogenannten Charakterstück, das eine Stimmung, eine Ansicht oder eine Impression verdichtet, knapp und konzentriert wie eine Momentaufnahme einfängt. Gehäuft begegnen uns musikalische Aphorismen dann in der postromantischen Zeit, und zwar als Gegenreaktion auf die im Umfang, in der Komplexität und im Ausdruck überbordenden und ausufernden Werke der deutsch-österreichischen Spätromantik. So mancher Komponist besann sich damals auf einen alten Spruch, der selbst ein Aphorismus ist: In der Kürze liegt die Würze! Unter diesem Motto präsentierten wir Ihnen im Thema der Woche jeden in der Mittagsmusik einen musikalischen Aphorismus.
"Symphonische Minuten"
Für den Mittwoch haben wir Musik eines ungarischen Komponisten ausgesucht, der im Schatten seiner berühmten Zeitgenossen Bartók und Kodály steht. Es ist Ernst von Dohnányi - ein großer Name, den man bei uns wohl zuerst verbindet mit Klaus von Dohnányi, den Politiker, und mit dessen Bruder Christoph von Dohnányi, den Dirigenten. Der Großvater der beiden war Ernst von Dohnányi, ein Komponist, Pianist und Dirigent. Zum 80. Geburtstag der Budapester Philharmoniker komponierte er 1932/33 eine virtuos-brillante Orchestersuite: "Symphonische Minuten" ist sie betitelt, denn sie besteht aus fünf Sätzen, die alle aphoristisch kurz sind - bis auf einen knapp vierminütigen dauern die vier übrigen alle nur um die zwei Minuten. Das abschließende Rondo, das es bei uns zu hören gibt, ist ein rasantes Presto, das tänzerisch vorüberwirbelt und nach zwei Minuten, zwanzig Sekunden schließlich kurz und bündig endet - ein musikalischer Aphorismus im Telegramm-Stil.