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Dienstag, 15.05.2018

12:05 bis 14:00 Uhr

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Favelas - Armenviertel in Rio | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Aus dem Studio Franken: Mittagsmusik

Mit Susanne Alt

Bis Mitte 2022 gab es die Sendung "Mittagsmusik" auf BR-KLASSIK. Hier könnnen Sie weiterhin in den Archiven der Sendung schmökern.

"Cidade maravilhosa" wird sie von vielen genannt, "die wundervolle Stadt": Rio de Janeiro, die gigantische brasilianische Küstenmetropole mit der faszinierenden Ausstrahlung und den vielen charakteristischen Wahrzeichen. Überwältigende Anmut und namenloses Elend liegen dabei eng beieinander: Hier die mondänen Stadtstrände von Copacabana und Ipanema, dort die Hügel mit den Favelas, den schmutzigen und stickenden Slums der Ärmsten der Armen. Rio de Janeiro hat zwei Gesichter - sie heißen Schönheit und Schrecken. Im Thema der Woche präsentieren wir Ihnen in der Mittagsmusik unter diesem Motto 5 Mal 2 Beispiele für Musik, inspiriert von Rio.

Samba im symphonischen Disco-Sound

Am Dienstag haben wir für Sie zunächst Musik, die all die Klischees vom mondänen Rio bedient: Der Jetset, die High Society, die "oberen Zehntausend", die dem sexy Luxusleben hemmungslos unter der Sonne frönen. Geschrieben hat diese Musik Neil Richardson, ein englischer Komponist, Arrangeur und Dirigent, der sich vor allem durch seine Arbeiten für Film, Fernsehen und Radio profilierte. In den 1960er und 1970er Jahre stand seine Karriere im Zenit. Die Musik für die Spielshow "Mastermind" und für die Fernsehserie "The Riviera Affair" entstanden damals, und auch das hier präsentierte Stück stammt aus dieser Zeit. "Rio Magic" heißt es, und es ist eine opulent orchestrierte Radio-Musik im symphonischen Disco-Sound der 1970er Jahre. Abgesehen vom Samba-Rhythmus hat das Stück übrigens nichts, was für brasilianische Musik typisch wäre - sie steht gewissermaßen für eine "globalisierte" Rio-Musik.

Bach "brasilianisiert"

Das zweite Stück unserer Paarung am Dienstag könnte indes nicht authentischer brasilianisch sein. Es stammt von Heitor Villa-Lobos, 1887 in Rio geboren, 1959 in Rio gestorben - ein echter Carioca also, wie man einen Einwohner Rios nennt. Je nach Art der Zählung hat Villa-Lobos zwischen 800 und 2000 Werke aller Genres, Formen und Gattungen geschrieben. Mit diesen verlieh er seiner Heimat eine eigene Stimme unter der komponierenden Nationen der Welt und schuf eine brasilianische Kunstmusik von internationaler Bedeutung und Relevanz - Heitor Villa-Lobos ist Brasiliens Nationalkomponist "Nr. 1". Sein berühmtestes und bekanntestes Werk ist das fünfte Stück aus den "Bachianas Brasilieras", einem Zyklus, der exemplarisch das Bestreben des Komponisten zeigt, die Folklore seines Landes mit der großen europäischen Tradition von Kunstmusik zu verbinden. Zu deren Inbegriff gehört Johann Sebastian Bach, und die "Bachianas Brasilianas" sind dementsprechend eine brasilianische Hommage an Bach. "The Bridge is Love", heißt es, und so überbrückt Villa-Lobos mit seiner Musik mühelos die Distanz von 10.000 Kilometern zwischen Rio de Janeiro und Leipzig. Die fünfte der "Bachianas" ist ein Zweisätzer für eine merkwürdige Besetzung. Einem Ensemble von acht Violoncelli steht ein Sopran gegenüber. Im ersten Satz, "Aria" überschrieben, singt er zunächst eine Kantilene nur aus Vokalisen auf der Silbe "Ah", dann folgt eine Textpassage mit Worten der brasilianischen Dichterin Ruth Valadares Corêa über Sonnenuntergang, Mondschein und Sehnsucht,. und schließlich kehrt die Kantilene wieder, nun aber gesummt. Tonfall und Duktus der Ariosi aus Bachs Matthäuspassion verbinden sich mit der leidenschaftlichen Textdeklamation zu einer Musik voller Melancholie, Traurigkeit und Mitleid erregender Klage - sie erscheint wie ein bittersüßer Kommentar auf das Leid und Elend in den Favelas. Mit dem zweiten Satz schlägt die Stimmung um. "Dansa" ist er überschrieben und folgt dabei der Gangart eines "Martelos", eines schnellen brasilianischen Tanzes im 2/4-Takt. Der Text von Manuel Bandeira handelt von einem Dichter, der mit Vögeln spricht und dabei seine gefiederten Freunde über den Verbleib seiner Geliebten befragt. Volkskunst in Wort und Ton aus Rio - die Antithese zur symphonisch gestylten Disco-Nummer "Rio Magic".

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