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Das Thema der Woche in der Mittagsmusik dieser Tage führt uns auf einen Streifzug durch die von Spanien inspirierte Kunstmusik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Manuel de Falla, die Galionsfigur der neueren spanischen Nationalmusik, unterschied dabei zwischen einem Komponieren "auf spanische Art" und einem Komponieren "in Spanisch". Mit dem einen meinte er den pittoresk charakterisierenden Folklorismus von ausländischen Komponisten wie Bizet, Glinka oder Rimskij-Korsakow, mit dem anderen ein spanisch-authentisches Komponieren, durchdrungen von der echten, unverfälschten Folklore des Landes. De Fallas Gegensatzpaarung liefert das Motto für unseren Streifzug, auf dem wir jeden Tag zwei Werke miteinander konfrontieren: "À l'espagnole?" - "En espagnol!" Komponieren auf die wahre spanische Art. Am Mittwoch stellen wir Musik des Franzosen Jules Massenet und des Spaniers Isaac Albéniz gegenüber. Massenet ist vor allem bedeutend, berühmt und bekannt für seine Opern, unter denen "Le Cid" ein Paradebeispiel für die französische Spanien-Begeisterung darstellt. Albéniz, auf der anderen Seite, ist neben Manuel de Falla, Enrique Granados und Joaquin Turina einer der vier spanischen Nationalklassiker. Er war ein virtuoser Pianist, der als "spanischer Liszt" gefeiert wurde, und ein kreativer Komponist, verpflichtet jener Idee von einer genuin spanischen Kunstmusik auf der Basis des unerschöpflichen und einzigartigen Schatzes an Folklore bei gleichzeitiger Verarbeitung der modernen internationalen musikalischen Tendenzen.
"Navarraise"
Sowohl Massenet als auch Albéniz komponierten eine "Navarraise" - ein Tanztypus, benannt nach der nordspanischen Provinz Navarra, deren Hauptstadt Pamplona ist. Hemingway hat in seinem Roman "Fiesta" das festtägliche Treiben in der Stadt beschrieben, und auch die musikalisch überschäumenden Stücke von Albéniz und Massenet scheinen mit ihrer farbigen Harmonik und ausgelassenen Rhythmik die Szenerie einer Feria widerzuspiegeln. Massenet komponierte auch eine Oper "La Navarraise", womit eine Frau aus Navarra gemeint ist. Die "Navarraise", die hier zur Rede, ist dagegen ein Tanzsatz. Er stammt aus Massenets Oper "Le Cid" über den gleichnamigen spanischen Nationalhelden des Mittelalters. Im II. Akt der Oper gibt es eine große "Ballett-Fiesta", die mit einer Folge von Tänzen diverse Provinzen und Orte Spaniens porträtiert. Mit der baskischen "Navarraise" kommt die Sequenz zu ihrem musikalisch davonwirbelnden, krönenden Abschluss "à l'espagnole".
"Navarra"
"Navarra" von Isaac Albéniz war ursprünglich als Teil seines großen Klavierzyklus "Iberia" gedacht, der spanische Bräuche, Städte oder Landschaften beschwört und in seinem unverkennbar spanischen Tonfall die innige Vertrautheit des Komponisten mit der Folklore seiner Heimat verrät. Das "Navarra" betitelte Klavierstück konnte Albéniz allerdings nicht mehr fertigstellen; nach dem Tod des Komponisten im Jahr 1909 komplettierte es sein Schüler Déodat de Séverac. Berühmt wurde "Navarra" jedoch erst in der 1927 ausgeführten kongenialen Orchestertranskription von Enrique Fernández Arbós, einem brillanten Dirigenten und erstklassigen Geiger, der zeitweise auch Konzertmeister der Berliner Philharmoniker war. Arbós transponierte Albéniz' Klaviersatz von As-Dur nach A-Dur und fand orchestrale Kombinationen, die allesamt so echt spanisch klingen, dass man sich fragt, ob denn hier wirklich die gleichen Instrumente spielen, die auch Wagner, Mahler oder Richard Strauss verwendeten. Das Hauptthema des Stücks soll nach Arbós' Vortragsangabe "cantando con espressione populare" (singend mit volkstümlichem Ausdruck) gespielt werden, und für die ausführenden Oboen fügt er eine Artikulationsanweisung hinzu, die auf Pamplona als "Schauplatz" des Geschehens deutet: "Como las Gaitas de Pamplona" (Wie die Dudelsäcke von Pamplona). Komponieren "en espagnol".