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Freitag, 29.06.2018

12:05 bis 14:00 Uhr

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Manuel de Falla  | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Aus dem Studio Franken: Mittagsmusik

Mit Susanne Alt

Bis Mitte 2022 gab es die Sendung "Mittagsmusik" auf BR-KLASSIK. Hier könnnen Sie weiterhin in den Archiven der Sendung schmökern.

Alles spanisch oder was? Im Thema der Woche in der Mittagsmusik dieser Tage lautete die Antwort auf diese Frage: Ja, mehr oder weniger! Unter dem Blickwinkel von Manuel de Fallas Unterscheidung zwischen einem Komponieren "auf spanische Art" (mit dem Ergebnis von Imitationen) und einem Komponieren "in Spanisch" (mit dem Ergebnis von Originalen) unternahmen wir einen Streifzug durch die von Spanien inspirierte Kunstmusik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. "À l'espagnole?" - "En espagnol!" Komponieren auf die wahre spanische Art - so lautete das Thema, und jeden Tag konfrontierten wir das Werk eines spanischen Nationalklassikers mit dem eines Spanien-begeisterten ausländischen Komponisten. Am Montag traf unser spanischer Themen-Geber Manuel de Falla auf den Franzosen Georges Bizet, und auch zum Abschluss am Freitag stellen wir de Falla, die große Galionsfigur der neueren spanischen Nationalmusik, einen nicht-spanischen Komponisten gegenüber. Es ist Michael Glinka aus Russland. Beide Komponisten, der Spanier wie der Russe, adaptieren die Jota, einen Tanztypus im schnellen Dreiertakt, der sich seit dem 18. Jahrhundert aus der Provinz Aragon über die iberische Halbinsel verbreitete und zu einem spanischen Nationaltanz wurde.

Jota aragonesa

Michael Glinka wird als der "Vater der russischen Musik" bezeichnet. Gemeint ist die neuere, nationalrussische Musik des 19. Jahrhunderts, die in Tonfall und Sujet ihre Herkunft zu erkennen gibt. Kein Komponist vor Glinka tat dies so richtungsweisend und wirkungsreich. Mit "Iwan Sussanin", "Ein Leben für den Zaren" und "Ruslan und Ludmilla" komponierte Glinka die ersten russischen Nationalopern, durchdrungen von den Liedern und Tänzen der russischen Volksmusik. Daneben schrieb er Klavier- und Kammermusik sowie Orchesterwerke, darunter zwei Spanische Ouvertüren - schöpferische Frucht seines zweijährigen Aufenthalts in Spanien zwischen 1845 und 1847. Die erste dieser Spanischen Ouvertüren kennt man unter dem Titel "Capriccio brillante über die Jota aragonese". Sie entstand 1845 in Madrid, wo Glinka die Jota auch kennengelernt hatte - gespielt auf der Gitarre vom Sohn eines Kaufmanns aus der Nachbarschaft von Glinkas Madrider Wohnung. Das Jota-Capriccio besteht aus einer grimmigen langsamen Einleitung und einem schnellen Hauptteil, der formal raffiniert disponiert ist: Seine Sonatenform ist überlagert von der Variationenform, wobei das Thema der Abwandlungen das Jota-Thema ist. Gleich zu Beginn des schnellen Teiles wird es von zwei Soloviolinen und der Harfe plus Kastagnetten glitzernd und funkelnd vorgestellt und dann in mannigfachen Varianten und kontrapunktischen Kombinationen kontrastreich und kunstvoll abgewandelt. Von großer Farbigkeit ist die Instrumentation, die vielfach spanisches Klangkolorit beschwört - authentisch mit den Kastagnetten und imitierend mit Harfen- und Streicherpizzicati als Quasi-Gitarrenklänge. Glinkas Capriccio brillante über die Jota aragonesa ist ein frühes Meisterwerk des musikalisch-malerisch charakterisierenden Folklorismus des 19. Jahrhunderts.

Die Jota aller Jotas

Die Jota, die wir von Manuel de Falla hören, stammt aus seinem Ballett-Meisterstück "El Sombrero de tres Picos" (Der Dreispitz), 1922 in London uraufgeführt mit einer temperamentvollen Choreographie von Leonid Massine und Bühnenbildern von Pablo Picasso. Die Jota ist die "Danza final" des Balletts, der Schlusstanz mit einer Musik von auftrumpfender Rasanz und überschäumender Vitalität. Sie lässt das Ballett am Ende mit einer Eruption mediterraner Lebensfreude geradezu explodieren. In einer atemberaubenden Tour de Force orchestraler Virtuosität wird das zunächst noch unvollständige Jota-Hauptthema bei zunehmend klanglicher Intensivierung in mehreren Ansätzen vergrößert, bis es schließlich beim dritten Mal mit höchster Kraftentfaltung und in seiner ganzen Pracht zum Durchbruch kommt. Falla hatte sich schon vorher in einem Klavierstück und einem seiner Sieben spanischen Volkslieder mit dem aragonesischen Tanztypus auseinandergesetzt, aber erst mit dem "Dreispitz"-Finale komponierte er die Jota aller Jotas, die strahlende Apotheose des Tanzes - und zugleich den Inbegriff von all dem, was die iberische Nation an musikantischem, tänzerischem und triebgeladenem Potential in sich trägt.

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