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In der Malerei, Architektur und im Kunstgewerbe sind sie seit dem 18. Jahrhundert in ganz Europa bekannt und beliebt: die Arbeiten im chinesischen Stil, die so genannten Chinoiserien. Auch in der Musik kennt man sie, zumal im Zuge des Exotismus-Fiebers, der Begeisterung für alles Fremde und Ferne am Fin de Siècle des 19. Jahrhunderts und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Unter dem Motto "Musikalische Chinoiserien - Wenn westliche Komponisten chinesisch schreiben" präsentieren wir Ihnen im Thema der Woche der Mittagsmusik jeden Tag eine dieser Werke im chinesischen Stil.
Turandot-Scherzo
Am Mittwoch gehen wir mit unserer Chinoiserie weit ins 20. Jahrhundert hinein und gleichzeitig weit ins 19. Jahrhundert zurück. Paul Hindemith, eine der großen Vaterfiguren der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts, komponierte 1943 im US-amerikanischen Exil ein grandioses Orchesterwerk auf der Grundlage von Musik seines großen Vorgängers Carl Maria von Weber - dem zukunftsweisenden Instrumentalkomponisten und Opernreformer, der mit seinem "Freischütz" 1821 die deutsche Romantische Oper begründet hatte. Hindemith nannte seine Weber-Hommage Symphonische Metamorphosen, Umgestaltungen und Verwandlungen also, die Themen des deutschen Frühromantikers zum Gegenstand haben. Neben Klavierstücken griff Hindemith auf ein Orchesterwerk Webers zurück - auf die 1809 entstandene Ouvertüre der Bühnenmusik zu Carlo Gozzis Schauspiel "Turandot" in der Übersetzung Friedrich Schillers. Diese Ouvertüre hat - höchst ungewöhnlich für ihre Entstehungszeit - ein pentatonisches Hauptthema, das vom chinesischen Sujet des Theaterstücks kündet. In Hindemiths Metamorphosen wird dieses Thema zum Hauptthema des zweiten Satzes, überschrieben mit "Turandot-Scherzo". Gleich der Anfang beschwört eine fernöstliche Szenerie - mit dem flinken pentatonischen Thema in Flöte und Piccolo über Streicherklängen und Glockenschlägen und schließlich mit dem Einsatz von exotischem Schlagzeug wie Tom-Tom, Holzblock und Gong. Es ist eine Chinoiserie mit den bekannt-bewährten Stilmitteln - allerdings entwickelt sie sich dann in unerwarteter Weise. Denn in ihrem Mittelteil präsentiert sie etwas, das mit einer Chinoiserie absolut nichts zu tun hat: ein unverhohlenes Jazz-Fugato, das geradezu im Big-Band-Style der Swing-Ära durchgeführt wird. Hindemiths Symphonische Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber, sie sind ein Werk aus dem Amerika der Vierziger Jahre.