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Komponieren ist ein Beruf und eine Berufung, die keine Altersgrenze kennt. Dementsprechend begegnet uns in der Musikgeschichte eine ganze Reihe von Komponisten, die bis ins hohe Alter kreativ blieben und Meisterwerke produzierten. Solche Senioren sind unser Thema der Woche in der Mittagsmusik dieser Tage. Unter der Überschrift "Alter schützt vor Tonkunst nicht - Komponisten mit einem langen Leben" stellen wir Ihnen jeden Tag einen dieser Ewig-Vitalen vor.
Giuseppe Verdi - der "Gran Vegliardo" des italienischen Musiktheaters
Nach dem Franko-Belgier François-Joseph Gossec, der dem Zeitalter der Wiener Klassik angehört, ist der zweite in unserer Galerie von Komponisten mit einem langen Leben Giuseppe Verdi, der italienische Opern-Großmeister der Romantik. 1813 wurde er geboren, 1901 starb er im Alter von 88 Jahren. Nach dem Sensationserfolg seiner fünfundzwanzigsten Oper, der "Aida", im Jahr 1871 komponierte er zunächst sein einziges Streichquartett, dann das Requiem. Danach wurde es still um den "Gran Vegliardo", den "großen Alten" der italienischen Musik, wie man ihn in seiner Heimat nannte. In der Folge glaubten viele, Verdis Genius hätte sich verbraucht, und auch er selbst war wohl der Überzeugung, er sei als Komponist abgeschrieben. Doch dann - nach fast zwanzig Jahren, in denen er keine einzige Oper mehr geschrieben hatte - trat er um 1890 für alle unerwartet mit zwei absoluten Spitzenwerken des Musiktheaters an die Öffentlichkeit. Es waren die Opern "Otello" und "Falstaff", beide mit Libretti von Arrigo Boito auf der Basis von Dramen Shakespeares.
"Otello" mit 73
"Otello" wurde 1886 vollendet - das Werk eines 73jährigen. Lyrischer Höhepunkt der Oper ist das große Liebesduett zwischen Desdemona und Otello, das den I. Akt beschließt. Mit Klängen von äußerster Zartheit eröffnen vier Solo-Celli Otellos Beschwörung des nächtlichen Ambiente: "Già nella notte densa" (Nun, in der nächt'gen Stille). Dann beginnt Desdemona in Erinnerungen an die Anfänge ihrer Liebe zu schwelgen. Otello benennt die Gründe für ihre Liebe: "E tu m'amavi per le mie sventure, ed io t'amavo per la tua pietà" (Du liebtest mich um meiner Leiden willen, ich liebte dich, weil du barmherzig warst). Eingeleitet von einem Solo der Bassklarinette zieht das Tempo an: "Venga la morte!" - Otello sehnt den Tod in den Armen Desdemonas herbei. Doch bald darauf kulminiert die Szene in einem dreifachen Kuss (Un bacio... Un bacio... Ancora un bacio), begleitet von einem sehnsüchtigen Motiv der Violinen. Mit den Worten "Vien, Venere splende" (Komm, Venus erstrahle) beschwört Otello einmal mehr den Zauber der Liebesnacht, und die Musik verklingt in sphärischer Entrückung.
"Falstaff" mit 79
Sechs Jahre nach der Uraufführung des "Otello" folgte 1893 der "Falstaff". Wie die vorangegangene Oper beginnt auch die neue mit einer orchestralen Vehemenz, die nicht ahnen lässt, dass hier ein fast 80-Jähriger zu Werke ging. Was darauf folgt ist allerdings keine Tragödie aus Intrige, Eifersucht und Mord, sondern eine "Commedia lirica" - eine Art Neo-Buffo-Oper, die den kauzigen, alten Schwerenöter Falstaff in den Mittelpunkt einer temporeichen Handlung stellt. Ein dialogisierendes Parlando prägt den Vokalstil, rasch, lebendig, affektvoll. Alles wirkt leicht, spritzig, buffonesk. Dies gilt auch für die Schlussfuge, die das Werk augenzwinkernd beschließt: "Tutto nel mundo è burla" (Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren).