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"À la Manière de…" - Wenn Komponisten im Stil von Kollegen schreiben
"Um sein eigenes Handwerk zu beherrschen, muss man das Handwerk anderer studieren." Ein kluger Ratschlag, der allgemeingültig ist: Man kann ihn wohl auf alle Berufe und Tätigkeiten übertragen - auch auf künstlerische. In der Tat wird der Satz einem Musiker zugeschrieben, und zwar Jules Massenet, französischer Opern-Meister des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Maurice Ravel hat den Ratschlag gern zitiert und auch selbst beherzigt - nicht nur theoretisch, indem er die Werke anderer analysierte, sondern auch praktisch, indem er es anderen nachmachte und in deren Stil eigene Stücke schrieb. Ravel gab uns auch die Überschrift für das Thema der Woche in der Mittagsmusik dieser Tage: ",À la Manière de…' - Wenn Komponisten im Stil von Kollegen schreiben".
"À la Manière de Borodine"
1913 vollendete Ravel zwei Klavierstücke "à la Manière de…" (nach der Art von… oder in der Manier von…). Beide Stücke sind kleine, aber kostbare Hommagen an Komponisten, die Ravel zeitlebens sehr verehrte. Die erste Hommage geht an Alexander Borodin, den russischen Nationalklassiker - Komponist der Oper "Fürst Igor" mit den berühmten Polowetzer Tänzen. Ravels Klavierstück "À la Manière de Borodine" hat kein spezielles Stück des russischen Komponisten zum Vorbild. Es ist gewissermaßen im Geist seines Stils geschrieben - ein schneller Walzer mit ausgeprägter Chromatik. Manche hörten darin Anklänge an die Serenade aus Borodins "Petite Suite" und an das Scherzo aus seinem Zweiten Streichquartett.
"À la Manière de Chabrier"
Das zweite von Ravels Klavierstücken "À la Manière de…" ist eine Verbeugung vor Alexis-Emmanuel Chabrier - Ravels französischem Landsmann, der als Komponist vor allem durch seine grandiose Orchesterrhapsodie "España" berühmt wurde. Ravels Chabrier-Hommage hat eine besonderer Pointe, ist sie doch die Hommage einer Hommage: Sie basiert auf einer Opern-Paraphrase von Chabrier, und zwar auf dessen Bearbeitung von Siebels Blumenlied "Faites-lui mes Aveux" aus Charles Gounods Erfolgsoper "Faust". Auf welche Art Chabrier diese Opern-Arie Gounods paraphrasierte, dies wissen wir nicht. Aber Ravel, der Chabrier noch persönlich kennenlernte durfte, wusste es. Sein Klavierstück "À la Manière de Chabrier" ist untertitelt mit den Worten "Paraphrase sur un Air de Gounod" (Paraphrase auf eine Melodie von Gounod). Und was Chabrier paraphrasierte, machte sich Ravel zu eigen und modernisierte es. Gounod wird gewissermaßen via Chabrier zu echtem Ravel. Seine "À-la-Manière-de"-Kompositionen - sie offenbaren Ravels vielbeschworene Fähigkeit, sich den Stil anderer Komponisten zu eigen zu machen und zu reproduzieren. Sie versprühen den Geist ihrer Vorbilder und sind doch zugleich typischer Ravel.
Präludium und Allegro im Stil von Pugnani
Ähnlich wie Ravel beherrschte sein gleichaltriger Zeitgenosse Fritz Kreisler das Komponieren "à la Manière de…". Der legendäre austroamerikanische Violinvirtuose und Komponist schuf eine ganze Reihe von Stücken "à la xy", darunter ein Violinkonzert im Stil von Vivaldi, ein Menuett im Stil von Porpora und ein Grave im Stil von Wilhelm Friedemann Bach. Weltberühmt bis heute ist Kreislers Präludium und Allegro im Stil von Pugnani - wobei mit Pugnani der italienische Geiger und Komponist Gaetano Pugnani gemeint ist, ein Zeitgenosse Haydns. Als Kreisler das Stück 1910 komponierte, wusste man noch wenig von Historischer Aufführungspraxis und dem Musizieren im Originalklang. Seine Pugnani-Hommage klingt denn auch nicht nach Musik des 18. Jahrhunderts. Das hochvirtuose Stück ist die Musik eines Komponisten des 20. Jahrhunderts, der Altes in Neues verwandelt hat.