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Endlich wieder eine großbesetzte Schostakowitsch-Sinfonie in der Münchner Isarphiharmonie! Die weitgehend abgeklungene Pandemie macht's möglich. Mit der monumentalen Fünften kehrt der österreichische Gastdirigent Manfred Honeck zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zurück. Die 1937 in Leningrad uraufgeführte Fünfte Sinfonie sollte den lebensbedrohlich schikanierten Komponisten gegenüber der stalinistischen Kulturbürokratie rehabilitieren. Dass dies jedoch alles andere als ein Werk der Anpassung ist, verraten schon der abgrunddüstere Tonfall und der monoton hämmernde Jubel am Ende, wie Schostakowitsch später bekannte: "Das ist doch keine Apotheose. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören."
Beziehungsreich kombiniert Honeck Schostakowitschs Fünfte Sinfonie mit einem weiteren hochpolitischen Werk unserer Tage aus der Feder des 1967 in London geborenen Komponisten Julian Anderson. In seiner oratorischen Meditation "Exiles - Remembrances" spiegelt Anderson, der aus einer jüdischen Familie stammt und selbst Angehörige durch die Schoah verloren hat, einerseits die Babylonische Gefangenschaft des Volkes Israel und den Holocaust - mit einer Hommage an den couragierten Amerikaner Varian Fry, der tausenden Europäern zur Flucht vor den Nazis verholfen hat. Andererseits reflektiert Anderson darin die eigene, durch den Lockdown erzwungene Isolation, die für die meisten Kreativen katastrophale Auswirkungen hatte. Die vertonten vielsprachigen Texte stammen aus dem alttestamentarischen Buch der Psalmen ebenso wie von Guillaume Apollinaire oder dem tschechischen Surrealisten Vítĕzslav Nezval und werden in München von der afroamerikanischen Sopranistin Julia Bullock sowie dem Chor des Bayerischen Rundfunks gesungen. Und das musikalische Spektrum reicht von gregorianischen Gesängen bis zu elektronischen Soundtracks. Eigentlich sollte der fünfteilige Gesamtzyklus, den das BRSO mitbeauftragt hat, Anfang 2022 in München erstmals komplett präsentiert werden, was - Ironie des Schicksals - Corona verhinderte. Auch wenn die Uraufführung dann wenig später in Berlin stattfand, kann man "Exiles" jetzt endlich auch in München kennenlernen.