Bildquelle: Christian POGO Zach
Sex sells - das gilt auch auf der Bühne. Doch wie ist das in der Operette? Immer noch hängt besonders diesem Genre das Klischee an, das viele heimatselige Operettenaufnahmen und -filme der letzten 70 Jahre verbreitet haben: heile Welt, "unzeitgemäße" Musik, verstaubte Dialoge. Erst wer wirklich einen Blick in die originalen Textbücher wirft, erkennt, wie wahr die Sache mit dem "Sex sells" schon seit Offenbachs Zeiten auch in der Operette ist: Da spricht eine Frau nur mit den Beinen, da nimmt ein Mann gerne eine kleine, feine Handarbeit an, da amüsiert man sich im Tabarin, wenn die Leidenschaft wieder einmal heißer als der Gulaschsaft brennt. Nicht immer ist die Erotik und verbale Pornografie so eindeutig wie in den Berliner Operetten der 1920er und 1930er Jahre, manchmal ist es nur ein zweideutiger Nebensatz oder eine gespielte Unschuld vom Lande im kurzen Gewande, die vor allem beim männlichen Publikum für entsprechende Begeisterung sorgte. Da hat es selbst die öffentliche Meinung bei Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" schwer, Darsteller und Publikum zur Raison zu bringen. Und heute? Wieviel Erotik darf und soll Operette heute zeigen, wie anzüglich und provokant möchte das Publikum die Unschuld vom Lande dargeboten bekommen? Vielleicht ist es Zeit, gemeinsam mit dem Berliner Operettenforscher Kevin Clarke, mit Marie-Theres Arnbom vom Wiener Theatermuseum, mit den Regisseuren Barrie Kosky und Lotte de Beer und der Sopranistin Anette Dasch eigene Vorurteile zu überdenken, lang verdrängte und ignorierte Aspekte einer unterschätzen Musikgattung zu beleuchten, die originalen Libretti zu lesen, die lustige Witwe und ihre schillernde Verwandtschaft kennenzulernen und sich von subtiler und manchmal auch obszöner Erotik verzaubern und amüsieren zu lassen.