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Das Schaffen von Karlheinz Stockhausen (1928-2007) zerfällt in der öffentlichen Wahrnehmung grob gesagt in zwei Phasen: Da sind zum einen die frühen seriellen und elektronischen Werke, wie das epochale Orchesterstück „Gruppen“ oder der legendäre „Gesang der Jünglinge“ für Tonband, die unbestritten zum Kanon der modernen Musik gehören. Und da ist zum anderen der Opernzyklus „LICHT“, dem Stockhausen knapp die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens widmete und der aufgrund seiner esoterischen Inhalte und seiner Gigantomanie nach wie vor höchst umstritten ist. Aus Anlass von Stockhausens heutigem 95. Geburtstags nehmen wir in der Reihe „Faszination Neue Musik“ ein Orchesterwerk in den Fokus, das gewissermaßen auf der Grenze zwischen beiden Schaffensphasen steht: "Inori", ein musikalisches Ritual, das rationale Strenge und spirituelle Tiefe verbindet und wohl niemandem im Publikum kalt lässt. Zwei Tänzer, ganz in weiß, knien hoch oben auf einem Podium. Sie falten die Hände, kreuzen die Arme über der Brust, versenken sich in Gebetsgesten aus allen Regionen und Religionen der Welt. Darunter ein Orchester, das ganz behutsam, Schritt für Schritt, wie eine Lotusblüte, eine schillernde Klangwelt entfaltet: von der spröden Eintönigkeit (im wahrsten Wortsinn) bis zum Reichtum der Polyphonie. Der Dirigent Peter Eötvös kennt das Stück seit einem halben Jahrhundert: Noch vor der Uraufführung sang ihm Stockhausen die Partitur in seiner Kürtener Küche vor. Mit dabei bei der Premiere 1974 war auch der Tänzer Alain Louafi. Er hatte zuvor monatelang wie ein Mönch in Stockhausens Gartenhaus gelebt und mit dem Komponisten die vielen höchst präzise notierten Gesten eingeübt. Zwei Zeitzeugen, die auf beeindruckende Weise von ihrer Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen erzählen und gemeinsam mit Emmanuelle Grach, einer Choreographin der jüngeren Generation, in die Welt von "Inori" einführen.