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Verismo-Drama zwischen Zarismus und Revolution
Das Wexford Opera Festival an der Südostküste Irlands ist spezialisiert auf die Wiederentdeckung von Raritäten des Musiktheaters. "Nicht genau das, was das Publikum wollte, aber was es mögen könnte" - so formulierte es Gründer Tom Walsh. Im Herbst 2023 brachte die derzeitige Festivalleiterin Rosetta Cucchi ein Werk auf die Bühne, bei dem selbst Opernfreaks gerätselt haben dürften: Der Komponist Camille Erlanger ist heute genauso unbekannt wie sein drame lyrique "L’aube rouge" aus dem Jahr 1911. Dabei war Erlanger zu Lebzeiten durchaus anerkannt und erfolgreich: Als Sohn einer aus dem Elsass stammenden jüdischen Kaufmannsfamilie, kam er 1863 in Paris zur Welt und studierte am dortigen Konservatorium bei Léo Délibes. Seine neun Opern wurden an so bedeutenden Häusern wie der Pariser Opéra und der Opéra Comique uraufgeführt und blieben teilweise jahrzehntelang im Repertoire.
"L’aube rouge" nach einem Libretto von Arthur Bernède und Paul de Choudens spielt um 1900 in St. Petersburg, Nizza, Paris und Moskau. Ausgangspunkt ist die politisch unruhige Situation im zaristischen Russland, als sich nihilistische Protestbewegungen im Kampf gegen die Feudalgesellschaft radikalisierten. In diesem Milieu siedeln die Autoren eine hochdramatische Liebesgeschichte an, die sich zwischen den Fronten abspielt und die Protagonisten vor die Entscheidung stellt, ihren Gefühlen oder ihrer politischen Überzeugung zu folgen. Passend zum Motto des 72. Wexford-Festivals "Women & War" steht besonders die Protagonistin Olga im Zentrum des Konflikts, an dem sie zerbrechen wird.