"Was den Text betrifft, so will ich bekennen, daß ich recht gern auch das 'Deutsch' fortließe und einfach den 'Menschen' setzte" - dieses Zitat von Johannes Brahms zu seinem "Deutschen Requiem" lässt tief blicken. Denn wenn er sich auch mit seiner unkonventionellen Textwahl von Passagen aus dem Alten und Neuen Testament nach der Lutherbibel quer zur lateinisch gesungenen Liturgie der katholischen Totenmesse stellte, so geschah dies, weil Brahms den Menschen ins Zentrum seines höchst individuellen Requiems holen wollte. Anstelle der traditionellen Bitte um Erlösung der Toten nahm Brahms die Tröstung der trauernden Hinterbliebenen in den Blick seiner Textauswahl und deren Vertonung. Man darf auf die Interpretation dieses ergreifenden Werks durch den 40-jährigen Frankokanadier Yannick Nézet-Séguin beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gespannt sein, der sich dabei natürlich auf den Chor des Bayerischen Rundfunks ebenso verlassen kann wie auf die beiden mit dem Werk bestens vertrauten Solisten, die Sopranistin Christiane Karg und den Bariton Matthias Goerne. Beziehungsreich stellt Nézet-Séguin dem "Deutschen Requiem" eine der wenigen Moll-Symphonien von Joseph Haydn voran, die Nummer 44 in e-Moll aus dem Jahr 1772. Sie spiegelt den Charakter des musikalischen "Sturm und Drang" - und dass Haydn das zarte Adagio daraus für seine eigene Beisetzung bestimmt haben soll, hat dem Stück vermutlich den Beinamen "Trauer-Symphonie" gegeben.
(Fridemann Leipold)