Bildquelle: Marco Borggreve
Schon zum zweiten Mal in dieser Saison kommt der lettische Pultstar Andris Nelsons, Chefdirigent beim Boston Symphony Orchestra, als Gast zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Nach seinem triumphalen Erfolg mit der Neunten von Antonín Dvořák, die als CD-Produktion von BR-Klassik 2013 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, dirigiert Nelsons nun eine weitere Symphonie von Dvořák, die weitaus seltener gespielte Sechste in D-Dur. Vom ersten Ton an verströmt das Werk den Charme herzbewegender Melodien und eine dunkel glühende Wärme, die an die zweite Symphonie in derselben Tonart von Dvořáks Freund und Förderer Johannes Brahms erinnert. Schroff ragt das markante Scherzo heraus, dem Dvořák den Schwung des Furiants verlieh, einem populären böhmischen Volkstanz. Im ersten Teil des Konzerts präsentiert Nelsons eine Novität des dänischen Komponisten Hans Abrahamsen, die er selbst 2013 mit den Berliner Philharmonikern uraufgeführt hatte. "Let me tell you" lautet der Titel einer Novelle des renommierten britischen Librettisten Paul Griffiths, die Abrahamsen seinem Orchesterlied zugrunde legte. Der Clou dabei: Griffiths montierte seinen Text ausschließlich aus den 481 Worten, die Shakespeare seiner Ophelia in den Mund legte. Der fragilen Ophelia, die über Hamlets Zurückweisung wahnsinnig wird und den Tod sucht, verlieh Abrahamsen gläsern schwebende, irisierende und ekstatische Töne. Und wer könnte diese Rolle besser verkörpern als die phänomenale kanadische Sopranistin Barbara Hannigan, die in München zuletzt mit Boulez, Ligeti und Zimmermanns Marie in den "Soldaten" faszinierte? "Let me tell you" ist der Sängerdarstellerin gewidmet, die alle Nuancen dieser ätherischen Figur traumwandlerisch auslotet.
(Fridemann Leipold)