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Ende März erst hatte Chefdirigent Sir Simon Rattle in einem grandiosen musica viva-Konzert Pierre Boulez mit dessen Vokalwerk "Cummings ist der Dichter" zum 100. Geburtstag geehrt. Nun präsentiert Rattle mit dem BRSO ein großformatiges Orchesterwerk von Boulez, das seinerseits ein Gedenkstück geworden ist: "Rituel in memoriam Bruno Maderna" von 1975 ist für acht, im Raum verteilte Instrumentalgruppen konzipiert. Damit würdigte Boulez den frühverstorbenen Mentor und verdienten Lehrer bei den Darmstädter Ferienkursen in einer für ihn ungewohnt sinnlichen, fernöstlich inspirierten, an Messiaen gemahnden Klangsprache von prozessionsartig schreitendem Charakter. Dieses tönende Denkmal für seinen Freund Bruno Maderna beschreibt Boulez in der Partitur als "Zeremonie des Absterbens, Ritual des Vergehens und des Fortbestehens". Mit einem flammenden Appell gegen die deutsche Besatzung von 1943 tritt dann der Chor des Bayerischen Rundfunks auf den Plan, wenn er die epochale A-cappella-Kantate "Figure humaine - Menschliches Antlitz" von Francis Poulenc anstimmt. Der Zyklus beruht auf Antikriegs-Gedichten des Surrealisten Paul Éluard, der sich der Résistance angeschlossen hatte. In acht Gesängen für 12-stimmigen Doppelchor durchmisst Poulenc mit exquisiter, sakral getönter Harmonik den Leidensweg der Kriegsgeneration von der Totenklage bis zum finalen Hymnus auf die Freiheit - der Schlachtruf "Liberté" schließt in machtvollem Dur und in den exponierten Sopranen auf einem hohen E. Zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel krönt Rattle sein französisches Programm mit dem kompletten Ballett über das Liebespaar "Daphnis et Chloé". Das Stück basiert auf dem antiken Hirtenroman des Longos und imaginiert mit einzigartiger Farbenpracht ein - wie es Ravel ausgedrückt hat - "Griechenland meiner Träume". Einen unwiderstehlichen Sog entwickelt schon der raffiniert anschwellende "Tagesanbruch" zu Beginn des dritten Teils - in die Schlussorgie stimmt dann auch noch der Chor des Bayerischen Rundfunks mit rauschhaften Vokalisen ein.