Es einem anderen nachmachen und Musik auf dessen Art komponieren – manchmal ist es eine Hommage, manchmal eine Parodie, manchmal "nur" eine Stilübung. In der Mittagsmusik Stücke von Komponisten, die sich als Kollegen "verkleiden" und in deren Manier schreiben – ernsthaft und ambitioniert, witzig und humorvoll oder beides zugleich.
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"Im Stil von…", "Nach der Art von…" oder "In der Manier von" - die Musikliteratur ist spätestens seit dem Barockzeitalter durchzogen von Stücken mit Titeln solcher Art. Unterschiedliche Intentionen stehen hinter derartigen Kompositionen. Oft sind sie Akte der Ehrerbietung und Bewunderung - eine Hommage also. Manchmal aber parodieren sie auch einen Stil, machen sich gewissermaßen über ihn lustig, wenn auch zumeist nicht in böser Absicht. Und häufig sind diese Stücke "nach der Art von" auch einfach nur Stilübungen - sie dienen Studienzwecken. So zitierte Maurice Ravel während seines Studiums am Pariser Conservatoire gerne einen Satz, den man Jules Massenet zuschreibt: "Um sein eigenes Handwerk zu beherrschen, muss man das Handwerk anderer studieren."
Bildquelle: picture-alliance/dpa Ravel hat sein Studium der Musik anderer, seine Analysen von Werken diverser Kollegen aus Geschichte und Gegenwart mehrfach auch kreativ werden lassen und kompositorisch-praktisch umgesetzt. 1913 vollendete er zwei Klavierstücke, deren Titel uns die Überschrift für das Thema der Woche in der Mittagsmusik lieferte. Die beiden Stücke heißen "À la Manière de Borodine" und "À la Manière de Chabrier". Beide sind kleine, aphoristisch kurze, aber kostbare Hommagen an Komponisten, die Ravel zeitlebens sehr verehrte: seinen französischen Landsmann Alexis-Emmanuel Chabrier, den er noch persönlich kennenlernen durfte, und den russischen Nationalklassiker Alexander Borodin. In Frankreich nennt man den Typus, dem Ravels Hommage-Kompositionen angehören, "Pastiche" - nicht zu verwechseln mit dem italienischen "Pasticcio", der etwas ganz Anderes bedeutet. Das französische Wort "Pastiche" steht für die "Nachahmung des Stils", bezeichnet also eine Imitation. Und dieses Wort - im Lateinischen "Imitatio" - führt uns zu einem verbalen Dreiklang, der beim Komponieren "À la Manière de…" eine wichtige Rolle spielt.
Schon die antike Rhetorik lehrte ein Stufenmodell, das in der Folge von der Literatur, von der Malerei und von der Musik adaptiert wurde - und zwar als eine Art "Lehrgang" für Künstlerinnen und Künstler bei dem Streben nach einem eigenen, individuellen Stil. Der Dreischritt beginnt mit der "Imitatio", also der Nachahmung eines Vorbildes - es ist das, was einer Stilübung entspricht. Der zweite Schritt ist die "Aemulatio", die Nacheiferung, gewissermaßen die wetteifernde Nachahmung mit dem Ziel, das Vorbild zu übertreffen und zu überbieten. Der letzte Schritt ist schließlich die "Individuatio", das Sich-Zu-Eigen-Machen des Vorbildes mit dem Ergebnis eines Produkts des eigenen, individuellen Personalstils.
Ravels "À-la-Manière-de"-Kompositionen offenbaren seine vielbeschworene Fähigkeit, sich den Stil anderer Komponisten zu eigen zu machen und zu reproduzieren. Sie versprühen den Geist ihrer Vorbilder und sind doch zugleich typischer Ravel - "Imitatio", "Aemulatio", "Individuatio" auf höchstem Niveau wie immer bei diesem Komponisten. Ähnliches gilt für Fritz Kreisler, den zweiten in unserer Galerie von Komponisten des "À la Manière de…". Die anderen unserer Auswahl sind Großmeister in der Kunst der witzig-brillanten Stil-Imitation, beherrschen die Formbehandlung, Satztechnik und Orchestrierungskunst von Kollegen wie aus dem Effeff. Peter Breiner macht Beatles-Hits zur Thematik von Concerto-grosso-Verfahren à la Händel, Vivaldi und Bach. Und Siegfried Ochs und Ulrich Sommerlatte kleiden Volkslieder im Stil einer Vielzahl von Komponisten und Stilrichtungen ein. Besser und schneller kann man die Großen aus Geschichte und Gegenwart nicht kennenlernen.
Dienstag
Maurice Ravel:
À la Manière de Borodine, Valse
Charles Gounod:
"Faites-lui mes aveux", Lied des Siebel aus "Faust", III. Akt
Maurice Ravel:
À la Manière de Chabrier, Paraphrase sur un Air de Gounod
Fritz Kreisler:
Präludium und Allegro im Stil von Pugnani (Fassung für Violine und Orchester)
Mittwoch
Siegfried Ochs:
"'s kommt ein Vogel geflogen", Ein deutsches Volkslied im Stile älterer und neuerer Meister
Donnerstag
Werner Breiner:
Beatles Concerto grosso Nr. 1 im Stil von Händel, V. Satz: Penny Lane
Beatles Concerto grosso Nr. 2 im Stil von Vivaldi, IV. Satz: Paperback Writer
Beatles Concerto grosso Nr. 3 im Stil von Bach, V. und VI. Satz: Hey Jude und Yellow Submarine
Freitag
Ulrich Sommerlatte:
Variationen über das Lied "Der alte Peter" für Orchester