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Zum Tod von Chick Corea Blue Notes, die Flamenco tanzten

Armando Anthony Corea, genannt Chick, er war einer der konturenschärfsten Pianisten des modernen Jazz. Nun überrascht die Musikwelt die traurige Nachricht, dass der berühmte Musiker am 9. Februar 2021 im Alter von 79 Jahren gestorben ist.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Geschmeidig, zart und äußerst vital wirkte er auf der Bühne, besonders in den letzten Jahren. Virtuos, verspielt und kraftvoll-packend waren seine Klavierklänge. Er konnte in den unterschiedlichsten Besetzungen überzeugen, ganz alleine am Klavier, im genialen Duo-Dialog etwa mit Vibraphinist Gary Burton oder Vokal-Akrobat Bobby McFerrin, und natürlich in seinen herausragenden Trios. Gerade im letzten Jahrzehnt bestach Corea mit herausragender musikalischer Form auf seinen Tourneen, in einem Interview mit BR-KLASSIK im Jahr 2019 berichtete er von vielen unterschiedlichen Projekten. Für die Musikwelt und die vielen Fans der Töne Chick Coreas platzte die Nachricht von seinem Tod nun aus heiterem Himmel: Am 9. Februar 2021 ist Pianist Chick Corea im Alter von 79 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Nach bisherigen Verlautbarungen soll erst vor kurzem eine seltene Krebserkrankung bei ihm diagnostiziert worden sein.

Chick Corea gehörte zu einer Generation, die drei weltweit überragende Jazzpianisten hervorbrachte: den divenhaft schwierigen und pianistisch überwältigenden Keith Jarrett (geboren 1945), den stets neugierig nach neuen Impulsen suchenden Herbie Hancock (geboren 1940) - und ihn selbst, den präzisen Lyriker mit dem markant rhythmischen Zugriff. Und er hatte sich neben den anderen stets seinen hohen musikalischen Rang bewahrt. Corea gewann 23 Grammy Awards - nominiert war er für 65.

Manche seiner Kompositionen, zum Beispiel "Spain", "La Fiesta" und "Crystal Silence", wurden zu Standards des modernen Jazz. Corea galt außerdem als einer der Mitbegründer des Rock- und Fusion-Jazz (mit der vielgerühmten Band „Return to forever“). Und er nahm bereits Solo-Improvisationen auf, als Keith Jarretts großer Wurf "The Köln Concert" noch lange nicht existierte. Er hatte Programme zwischen Jazz und klassischer Musik zusammen mit dem Vokal-Artisten Bobby McFerrin gestaltet und auf CD veröffentlicht. Er feierte große Erfolge im Duo mit dem Vibraphon-Virtuosen Gary Burton, mit dem er bereits 1972 auftrat und 2006 eine vielbejubelte Wiedervereinigung einging. Und nicht zuletzt hatte er mit seinen sogenannten "akustischen" Trios (also besetzt mit Konzertflügel statt E-Piano ) Maßstäbe eines kammermusikalisch geprägten Klaviertrio-Jazz gesetzt, vor allem mit demjenigen, in dem der Bassist Miroslav Vitous und der Schlagzeuger Roy Haynes seine Partner waren. "Trio Music" und "Trio Music Live in Europe" hießen zwei herausragende Platten dieses Ensembles in den frühen 1980er Jahren. Doch bereits 1968 hatte er mit diesen Partnern eine LP veröffentlicht: "Now He Sings, Now He Sobs".

Von Rhythmen fasziniert

Chick Corea, geboren am 12. Juni 1941 in einem Ort namens Chelsea im US-Bundesstaat Massachusetts, stammte von spanischen und italienischen Einwanderern ab. Er begann bereits mit vier Jahren, Klavier zu spielen. Sein Vater war Trompeter und leitete eine Dixieland-Band. Durch ihn wurde Chick Corea früh mit Jazzmusik vertraut. Er liebte etwa die Musik des Bebop-Virtuosen Bud Powell und des  soulig spielenden Jazzpianisten und Bandleaders Horace Silver. Mit acht Jahren begann er auch, Schlagzeug zu spielen, aber er konzentrierte sich später wieder auf das Klavier. Seine vielgeschätzte rhythmische Präzision und sein perkussives Spiel aber wurden häufig auf die frühe Affinität zum Schlagzeug zurückgeführt.

Seinen ersten professionellen Auftritt absolvierte Corea mit dem Sänger und Entertainer Cab Calloway ("Minnie The Moocher"). Einen besonders großen Einfluss auf seine Karriere hatte der Trompeter Miles Davis, die weltweit größte Ikone des modernen Jazz. Von 1968 bis 1970 war Corea bei Davis in der Band, zu hören unter anderem auf so berühmten Platten wie "Filles de Kilimanjaro", "In a Silent Way" und "Bitches Brew". Davis entdeckte damals gerade die brodelnde Intensität des Rock für seinen Jazz und zündete mit dem Sound elektrisch verstärkter Instrumente neue Funken. Musiker wie Gitarrist John McLaughlin, Pianist Herbie Hancock, Keyboarder Joe Zawinul und Schlagzeuger Tony Williams spielten damals auch bei Miles Davis. Und alle wurden herausragende Figuren einer spannenden musikalischen Erneuerung.

Zurück zur Ewigkeit

Kurz nach seinem Weggang von Miles Davis gründete Chick Corea denn auch seine eigene "Fusion"-Band - wobei "Fusion" damals vor allem für die Verschmelzung von Rock und Jazz stand, sich aber erweiterte auf Klang-Einflüsse aus unterschiedlichen Teilen der Welt. Chick Coreas Band trug den poetischen Namen "Return to forever", und zu hören waren in ihr unter anderem die Sängerin Flora Purim und der Perkussionist Airto Moreira, beide aus Brasilien, sowie der Bass-Virtuose Stanley Clarke.

Im Jahr der Gründung von "Return to Forever" nahm Corea aber auch seine ersten "Piano Improvisations" auf: klanglich ungemein feine Stücke, die nach Coreas eigener Auskunft "spontan im Studio" entstanden. "Ich nahm die erste Idee, die mir in den Sinn kam, spielte sie runter und gab ihr später einen Namen. Es war sehr erfrischend und jedes Mal eine ordentliche Herausforderung." Dabei entstanden Stücke, die eine verblüffend stimmige Form hatten. Wie Corea in ihnen Motive fortspann, Themen entwickelte, aus ihnen Tonfolgen ableitete und den jeweiligen Ursprung später wieder aufgriff, das verblüfft auch heute noch. Erst Jahre später, im Januar 1975, wurde die berühmteste Solo-Klavier-Improvisation des Jazz aufgenommen, Keith Jarretts "Köln Concert". Aber der Impuls, den auch Chick Corea für diese Art von Musik setzte, sollte nicht vergessen werden. Corea nahm aber auch komplett ausgeschriebene Kompositionen solo auf dem Klavier auf: seine miniaturhaften und wunderschönen "Children’s Songs" im Jahr 1983: keine Kinderlieder, sondern Klavierstücke, mit denen er Eigenschaften von Kindern charakterisieren wollte, etwa ihre Verspieltheit und ihr staunender Blick auf die Welt. Kleine Meisterwerke, die noch immer faszinieren.

Ganz eigene Akzente setzte Chick Corea mit Kompositionen, die spanisches Kolorit haben. "Spain" von 1971 etwa beginnt mit dem Adagio aus dem "Concierto de Aranjuez" des spanischen Komponisten Joaquin Rodrigo und führt dann in einen schnellen, rhythmisch fetzigen Teil. Die Gitarristen Paco de Lucia und John McLaughlin zeigten in den 1980er Jahren, dass das Stück auch als Flamenco funktioniert. "La fiesta" von 1972 beruht auf Modi des Flamenco. Besonders prägnant dokumentierte Corea seine Liebe zu spanischen und auch lateinamerikanischen Klängen 1976 auf dem Doppel-Album „My Spanish Heart“, das als eine seiner besten Platten angesehen wird. Auch in den gläsern transparenten Duos mit dem Vibraphonisten Gary Burton waren die spanischen Elemente immer wieder zu erleben: Das berühmte erste gemeinsame Album, "Crystal Silence", aufgenommen 1971 (im Gründungsjahr von "Return to Forever") beginnt mit der zupackenden Nummer "Senor Mouse". Im März 2011 waren Corea und Burton im Duo auch bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen zu erleben und zeigten damals, wie jung die Kompositionen und dieses zugleich makellose und hochkreative Duo geblieben waren.

Mozart, herausgemeisselt

Auch in der Domäne der klassischen Musik war Chick Corea immer wieder aktiv. Mit dem Saint Paul Chamber Orchestra unter der Leitung von Bobby McFerrin spielte er 1996 Mozart-Klavierkonzerte ein, allerdings mit manchmal abenteuerlichen Solo-Kadenzen, und auch hier mit einem Anschlag, der die Töne wie herausgemeißelt erscheinen ließ - bei Mozart mindestens Geschmackssache. Herausragend in der Begegnung mit der Klassikwelt waren Coreas Duo-Aufnahmen mit den Pianistenkollegen Friedrich Gulda und Nicolas Economou in den 1980er Jahren beim Münchner Klaviersommer.

Ein immer wieder diskutiertes Thema bei Chick Corea war seine Zugehörigkeit zu Scientology. 1993 sagte deshalb ein Veranstalter in Stuttgart Coreas Auftritt während der Leichtathletik-Weltmeisterschaft ab, da die Landesregierung Baden-Württemberg drohte, die Subventionen zurückzuziehen. Manche von Coreas Alben tragen Widmungen an den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard. In Konzerten jedoch, zum Beispiel in jenem von 2011 in Burghausen, konzentrierte sich Corea ganz auf die Töne selbst.

Seine Musik: Jazz- oder besser: Tastenmusik-– in ganz vielen Facetten. Sie war spannend, mitreißend, melodiös, spartenübergreifend und stets in höchster Präzision gespielt, und wird es in zahlreichen Alben, die er hinterlassen hat, auch über seinen Tod hinaus bleiben.
Musik für Ohren, die sich nicht gern Grenzen setzen lassen. Auch keine spanischen.

Radio-Tipp:

Jazztime am 12. Februar 2021
Blue Notes, die Flamenco tanzten: Nachruf auf den Pianisten und Komponisten Chick Corea, der - wie letzte Nacht bekannt wurde - im Alter von 79 Jahren gestorben ist. Mit berühmten, stilistisch vielfältigen Aufnahmen aus mehreren Jahrzehnten und Auszügen aus einem BR-Klassik-interview von 2019.
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

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