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Bilanz: Tage Alter Musik Regensburg 2023 Mekka des Originalklangs

Jedes Jahr an Pfingsten wird Regensburg zum Pilgerort der Originalklang-Szene. Dann finden dort die Tage Alter Musik statt, eines der wichtigsten europäischen Festivals für historische Aufführungspraxis. BR-KLASSIK zieht Bilanz.

Regensburg | Bildquelle: GZagatta

Bildquelle: GZagatta

Tage Alter Musik Regensburg, das heißt: 18 Konzerte von Freitagabend bis Montagabend in historischen Sälen und prachtvollen Kirchen. Und die waren auch in diesem Jahr wieder rappelvoll. Die Krise der Klassik hat offenbar einen Bogen um Regensburg gemacht, obwohl doch die unprätentiöse Machart des Festivals jedem Marketing-Coach die Schweißperlen auf die Stirn treiben würde. Denn es gibt kein Thema, kein Motto und kaum Stars. Es werden keine gesellschaftlichen Diskurse angestoßen, es gibt kein Fahrradkonzert und auch keinen Rapper, der Mozart ein bisschen aufpeppen soll. Es gibt nur wundervolle Räume und tolle Musikerinnen und Musiker. Und ein Publikum, das sich gerne mitnehmen lässt und das am Ende die Musik von Komponisten bejubelt, die Giovanni Priuli heißen, Benedictus À Sancto Josepho oder Christoph Strauss. Es ist fast schon paradox: Wenn man Neues erleben will, muss man auf ein Alte Musik-Festival wie in Regensburg gehen.

Konzerte, die besonders herausstachen

Christoph Strauss ist ein gutes Stichwort: Drei Ensembles sind nötig, um das ungewöhnliche "Requiem" des so gut wie vergessenen frühbarocken Wiener Komponisten Christoph Strauss aufzuführen. Also haben sich extra für das Konzert in Regensburg das Hathor Consort mit seinen Gamben, das Ensemble Oltremontano mit seinen Bläsern und die Sängerinnen und Sänger vom Pluto-Ensemble zusammengetan. Um das Requiem herum haben sie noch ein abendfüllendes Programm gestrickt, das vom Dunkel zum Licht führte, von einer einsamen Gambe bis zur strahlenden Mehrchörigkeit. Das gibt es nicht auf CD, das ist kein Allerwelts-Programm, sondern das kann man nur auf einem Festival wie in Regensburg erleben.

Bemerkenswerte Newcomerinnen

Anders als im sonstigen Klassikbetrieb sind Frauen als Ensembleleiterinnen in der Alten-Musik-Szene schon längst Normalität. Und so waren es auch fünf Frauen, die prägende Akzente in Regensburg setzten. Etwa die junge, französische Gambistin Lucile Boulanger, die gerade auf dem Weg vom Geheimtipp zum Star der Szene ist. Sie verschmilzt beim Spielen so sehr mit ihrem Instrument, als wäre die Gambe ein Teil ihres Körpers. Oder die niederländischen Zwillingsschwestern Judith und Tineke Steenbrink und ihr Ensemble Holland Baroque, die Musik aus dem "Untergrund" mit nach Regensburg gebracht haben: katholische Kirchenmusik, die im calvinistischen Holland heimlich in provisorischen Kirchen und Scheunen aufgeführt worden ist.

Musikalischer Marathon mit Feuerwerk

Einen wahren Konzertmarathon hat die Geigerin Meret Lüthi absolviert: In drei Konzerten spielte sie den kompletten Zyklus der Rosenkranzsonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber – auf einer einzigen Violine. Das ist eine besondere Herausforderung ist, denn sie musste das Instrument vor jeder Sonate in eine andere Stimmung bringen (Skordatur). Ein Kraftakt, für den Meret Lüthi zurecht Standing Ovations erhielt.

Zum Abschluss des Festivals setzte die polnische Geigerin und Dirigentin Martyna Pastuszka mit ihrem {oh!} Orkiestra ein Ausrufezeichen. Auf dem Papier sah das Programm mit Barocksuiten aus dem deutschsprachigen Raum ziemlich eintönig aus, aber Pastuszka zauberte daraus mit ihrem Orchester ein musikalisches Feuerwerk, machte aus den standardisierten Tanzsätzen voller Fantasie und Energie eine wahre "Festmusik" vielfältigster Klangfarben – und brachte damit das Publikum zum Toben.

Tage Alter Musik Regensburg auf BR-KLASSIK

Ab sofort zum Nachhören: Eröffnungskonzert mit Regensburger Domspatzen & L'arpa festante
Ab sofort zum Nachhören: Tafel-Confect aus Regensburg
Ab sofort zum Nachhören: Abschlusskonzert mit {oh!} Orkiestra
27. Juni, 20.05 Uhr: Contrapunctus & Holland Baroque (Konzertmitschnitte vom 26. und 27. Mai)
29. Juni, 18.05 Uhr: Hathor Consort, Pluto-Ensemble, Oltremontano Antwerpen (Konzertmitschnitte vom 27. Mai)
1. Juli, 18.05 Uhr: Alia Mens (Konzertmitschnitt vom 28. Mai)
11. Juli, 18.05 Uhr: Compagnia di Punto (Konzertmitschnitt vom 28. Mai)
23. Juli, 20.03 Uhr: Tage Alter Musik Regensburg - best of (Aufnahmen vom 26. bis 29. Mai)

Domspatzen beim Auftaktkonzert

Regensburger Domspatzen, Tage Alter Musik Regensburg 2022
| Bildquelle: © TAM/Hanno Meier Die Regensburger Domspatzen sangen wieder beim Auftaktkonzert. | Bildquelle: © TAM/Hanno Meier Leider trübt ausgerechnet das traditionelle Auftaktkonzert mit den Regensburger Domspatzen die durchweg positive Festivalbilanz etwas. Wie schon im vergangenen Jahr haben sie das Festival eingeläutet. Die Domspatzen hatten sich mit "L’arpa festante" ein Barockorchester dazu geholt, zu dem die jungen Sänger keine rechte Bindung fanden, und so klang z.B. Bachs Osteroratorium wenig inspiriert. Und ganz generell stellt sich natürlich auch die Frage, ob man ausgerechnet auf einem Originalklang-Festival Bachs Musik entgegen allem, was man heute weiß, in opulenter Chorbesetzung interpretieren sollte. Eine der kommenden Herausforderungen für Domkapellmeister Christoph Heiß dürfte es sein, darauf Antworten zu finden, wenn die Domspatzen weiterhin auf Festspielniveau dabei sein wollen.

Regensburg als Knotenpunkt für die Szene

Die Originalklang-Szene hatte bei den Tagen Alter Musik Regensburg auch in diesem Jahr wieder niedrigschwellige Vernetzungsmöglichkeiten über die reinen Konzerte hinaus. Der Festivalspirit lebt vom persönlichen Austausch der Musikerinnen und Musiker untereinander, aber auch mit dem Publikum – egal ob zwischen den Konzerten oder in den kleinen Restaurants und Kneipen der Altstadt. Außerdem gab es wieder eine Art Börse der Szene im Salzstadel direkt an der Steinernen Brücke, wo sich Verlage und Instrumentenwerkstätten präsentierten und wo sich Profis und Liebhaber einfach von den vielfältigen Angeboten inspirieren lassen konnten.

Sendung: "Allegro" am 30. Mai 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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