Bayreuther Festspiele
24. Juli - 27. August 2024
Von der Villa Wahnfried bis in den Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse führt die wahnwitzige Reise, die Regisseur Barrie Kosky auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses bringt. Am 25. Juli 2017 feierte Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen Premiere. Eine Kritik von Bernhard Neuhoff.
Bildquelle: dpa-Bildfunk/Enrico Nawrath
Barrie Kosky inszeniert eine Reise durch den Wahn. Der Wahn wohnt in einem Charakterkopf, auf dem ein schwarzes Samtbarett sitzt. Wagner liebte solche Kappen. Damit sah er fast wie Rembrandt aus. Nicht weit vom Festspielhaus, in der Villa Wahnfried, kann man heute in den rekonstruierten Räumen die originalen Mützen des Meisters bewundern. Dort, bei Wagners zuhause, beginnt auch Koskys Meistersingerinszenierung. Schon während der Ouvertüre bevölkert sich der Raum. Schwiegervater Franz Liszt greift in die Tasten. Gattin Cosima hat Migräne. Und dann kommt auch noch Dirigent Hermann Levi zu Besuch, den Wagner als Künstler achtet und als Menschen quält, weil er Jude ist. Man spricht ein neues Werk durch, singt und spielt: die Meistersinger.
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Wagner, der solche Privataufführungen liebte, verteilt die Rollen. Liszt verwandelt sich in Pogner, Cosima in Eva. Wagner selbst steht mehrfach auf der Bühne. Als junger Mann ist er Stolzing, als alter Sachs. Diese ersten Minuten sind grandios. Temporeich, treffsicher und bitterböse - etwa, wenn alle niederknien, um die deutsche Kunst anzubeten. Nur der Jude Levi wird ausgeschlossen, fremd gemacht, ins Abseits gestellt. Klar, dass ihm die Buhmann-Rolle des Beckmesser zufällt.
Szene aius dem 1. Akt der "Meistersinger" | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Ob diese Figur wirklich eine Judenkarikatur ist, darüber wurde schon zu Wagners Lebzeiten diskutiert. Doch Barrie Kosky geht es nicht um die abgedroschene These Beckmesser = Jude. Er zeigt vielmehr, wie eine Gemeinschaft Außenseitern eine Rolle aufzwingt, wie ein realer Mensch hinter Stereotypen verschwindet. Was Antisemiten unbedingt sehen wollen, kriegen sie irgendwann auch zu sehen – etwa das angeblich "typisch jüdische" Gestikulieren. Das ist beklemmend und komisch zugleich, schwarzer Slapstick in opulenter Bühnenoptik. Die Darsteller der Familienaufführung verkleiden sich in Renaissancekostümen - kerndeutsche Rembrandt-Menschen, wie sie die reaktionären Wagnerianer propagierten.
Plötzlich fährt die Villa Wahnfried nach hinten und gibt einen weiten Raum frei. Es ist der Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalasts. Hier fanden 1945/46 die Kriegsverbrecherprozesse statt, hier spielen zweiter und dritter Akt. Keine muntere Massenschlägerei ist die Prügelfuge, sondern ein Angriff aller gegen einen. Während Beckmesser geschlagen wird, ploppt eine riesig aufgeblasene Judenkarikatur aus dem Nazihetzblatt "Stürmer" auf. Das ist dann doch eher Zaunpfahl denn Erkenntnis.
Michael Volle als Hans Sachs in "Die Meistersinger von Nürnberg" | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Deutlich spannender der Schluss: Die Festwiese, zuvor optisch fesselnd choreographiert, entvölkert sich schlagartig. Hans Sachs vulgo Richard Wagner bleibt allein im Gerichtssaal zurück und hält seine berüchtigte Rede über die echte deutsche Kunst an uns, ans Publikum. Als triumphal der Chor einstimmt, fährt ein Orchester auf die Bühne, von Richard dirigiert. Seine Ideologie ist gerichtet, seine Musik ist gerettet. Neu ist der Lernstoff dieser fünf Geschichtsstunden sicher nicht, es gibt weder Theaterrevolution noch Erleuchtung - stattdessen kluge Fragen, Brüche und handwerklich immer gekonntes Theater. Gut ist Kosky auch dann, wenn er unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Musikalisch ist es dagegen ein großer Abend. Und das, obwohl Dirigent Philippe Jordan die schwierige Festspielhausakustik noch nicht ganz im Griff hat. Erfreulich sind meist flüssige Tempi und Spielfreude – die aber manchmal in pauschales Weiterso umschlägt und nebenher ein paar Wackler produziert. Doch was die Sänger leisten, ist fantastisch. Wie wach und präsent gestaltet Daniel Behle den David! Grandios auch die Leistung von Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Eigentlich ist der Stolzing ja die Paraderolle von Klaus Florian Vogt, aber die umwerfende Mühelosigkeit, mit der er die Rolle 2007 in Bayreuth bewältigte, ist weg. Etwas unglücklich besetzt ist die Eva der Anne Schwanewilms – diese Partie braucht jugendlichen Glanz in der Stimme. Ungebrochener Jubel dagegen für Michael Volle. Sein Sachs berührt in den intimen Momenten und verfügt über beeindruckende Reserven. Letztlich trägt die Glaubwürdigkeit dieses großartigen Darstellers den Abend – Volle ist Sachs, Volle ist Wagner, Volle singt von Wahn und Liebe und zeichnet einen Charakter von faszinierender Ambivalenz. Denn darin hat Kosky ja recht: Egal, wie viel man von Wagners dunklen Seiten weiß und zeigt: Am Ende hat er uns mit seiner Musik doch wieder erwischt.
Premiere: 25. Juli 2017
Hans Sachs: Michael Volle
Walther von Stolzing: Klaus Florian Vogt
Sixtus Beckmesser: Johannes Martin Kränzle
Veit Pogner: Günther Groissböck
und weitere
Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Sendung: Allegro, 26. Juli 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Montag, 31.Juli, 12:22 Uhr
wennka kramer
Ich stimme Herrn Siebenrock völllig zu. Diese ständige Volksrziehung ist laanagsam unerträglich.
Freitag, 28.Juli, 17:31 Uhr
Manfred Siebenrock
Nicht ganz so überschäumende Zustimmung für diese Inszenierung kann ich empfinden.
Alles in allem war sie brav und bieder und entsprach voll den Erwartungen unserer Rechtschaffenheit.
Immerhin gelang es hier, eine der herrlichsten deutschen Komödien jeglicher Heiterkeit zu berauben und sie sozusagen "typisch deutsch", nämlich tiefgründig schürfend und bodenlos langweilig anzubieten, wie saures Bier .
Beckmesser ist eine der herrlichsten Figuren, sozusagen die andere Seite des Hans Sachs und des Walther von Stolzing. Warum lässt man ihn immer bloß zu einer Hass- bzw. Mitleidsfigur einzwängen?
Warum wird die Prügelszene, die verrückteste und originellste Ballettszene der gesamten Opernliteratur ( und Wagners "Rache" für das Ausbuhen, Auspfeifen und die Verrisse durch den Jockeyclub der frühen Pariser Aufführungen des "Tannhäuser" uns allein als bösartige Unterdrückung von Außenseitern gelehrt?
Ach, was sind sie doch fade und langweilig, diese Volkserziehungsaufführungen (seit 1933)!
Donnerstag, 27.Juli, 02:44 Uhr
Müller
Beckmesser
Warum klagen wir uns selber an?Ist doch die Person Beckmesser eigentlich Wagners schärfsten Kritiker Eduard Hanslick gewidmet und spielt in einer Zeit als es Zünfte statt Parteien gab.
Der gute Richard würde sich im Grab umdrehen,wenn er erleben müsste,was seine Enkel mit seinem Werken machen.
Mittwoch, 26.Juli, 15:06 Uhr
Silvio Heil
Meistersinger bayreuth 2017
ich möchte noch hinzufügen, das mir auch der Pogner sehr gefallen hat...es wäre schade, wenn man den Eidruck hat, ich hätte ihn absichtlich vergessen, nein...Brav0..alles in allem , aber doch aufgrund der besagten Mängel...nach meinem Geschmack...eine eben nicht an alte zeiten heranreichende Bayreuther Zeit...
Mittwoch, 26.Juli, 10:34 Uhr
Silvio Heil
Meistersinger 2017 Bayreuth
Ich habe die Premiere im Radio verfolgt und boin bis auf Volle, Kränzle und Behle recht enttäuscht.
Musikalisch gab es einen sehr guten dritten Aufzug, die beiden Vorangegangenen waren eher viel zu schnell und doch wenig differenziert. Sängerisch gefiel Volle als Sachs und Behle sang einen recht guten David. Bravo !! Kränzle hat sich sehr erfreulich gesundheitlich erholt und war ein überzeigter Beckmesser. Eva hatte zwar gute Mittellage, welche meistens in dieser Partie unterschätzt wird, aber die Höhe ist nicht gut und unterm Strich doch wohl eine fehlbesetzung. eine absolute Fehrbesetzung ist allerdings Vogt, sicher gebe ich zu , das es immer Geschmacksache ist, sich über sänger zu äußern, aber was dieser Sänger eigentlich besitzt , hat mit Wagnergesang nichts zu tun. Eine völlig flach klingende Stimme, welche ohne Resonanz daherkommt und keinerlei Strahlkraft in der Höhe besitzt und für mich im Allgemeinen nichts mit einer qualitativen Stimme für den Opernbetrieb zu tun hat.