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BR-KLASSIK feiert Beethovens 250. Geburtstag

Igor Levit erklärt Beethovens "Mondscheinsonate" Einsamkeit und Verzweiflung

Den Anfang kennt jeder. Der erste Satz der "Mondscheinsonate" gehört zu den bekanntesten klassischen Musikstücken überhaupt. Dabei hat Beethoven selbst wohl nicht an Mondschein gedacht, als er die Sonate op. 27 Nr.2 schrieb. Diesen populären Titel bekam die Sonate erst, als Beethoven längst tot war. Was macht diese Sonate so besonders? Warum berührt uns diese Musik so sehr? Und welche Assoziationen weckt sie? Für Igor Levit steckt darin: leerer Raum, ein einsamer Mensch und tiefe Verzweiflung.

Igor Levit | Bildquelle: Felix Broede

Bildquelle: Felix Broede

Igor Levit sitzt am Klavier, seine Finger gleiten über die Tastatur: Leise, gebrochene Dreiklänge, ganz zart, im pianissimo. So beginnt die "Mondscheinsonate". "Das ist weniger Musik als vielmehr Raum", erklärt Igor Levit im BR-KLASSIK Podcast. "Vier Wände und ein Dach - nicht mehr und nicht weniger." Es tut sich nichts. Dann erhebt sich wie aus dem Nichts eine Melodie. "Das ist die menschliche Stimme", erklärt Igor Levit. Sie hebt sich ab, espressivo. "Das andere ist Atmosphäre - im Grunde genommen: in Musik gesetzte Einsamkeit".

Es ist alles Raum - und darin befindet sich ein Mensch.
Igor Levit

Mondschein? - von wegen!

Manche Musikstücke berühren uns einfach. Woran das liegt, darüber ist viel geforscht und philosophiert worden - ohne eine Antwort darauf zu finden. Fakt ist: Auch der erste Satz von Beethovens "Mondscheinsonate" gehört zu diesen Stücken. "Das ist totales Nervengift", sagt Igor Levit. "Aus irgendeinem Grund ist es von allen Beethovensonaten das Identifikationsstück - für Laien wie für Nicht-Laien."

32 x Beethoven als Podcast

Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.

Der malerische Titel "Mondscheinsonate" stammt nicht von Beethoven selbst. "Sonata quasi una fantasia" nannte er sein Werk. Beethoven war längst tot, da hörte der Musikkritiker Ludwig Rellstab diesen berühmten ersten Satz und hatte ein Bild vor Augen: eine nächtliche Kahnfahrt auf dem Vierwaldstätter See, vielleicht verbunden mit einem romantischen Ständchen mit Gesang und Gitarrenbegleitung. Rellstab gab der "Mondscheinsonate" ihren populären Titel.

Musik kann man nicht festhalten - sie ist alles und gar nichts.
Igor Levit

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Igor Levit - Beethoven: Piano Sonata No. 14, Op. 27 No. 2, "Moonlight" (Opus Klassik 2019) | Bildquelle: Sony Classical (via YouTube)

Igor Levit - Beethoven: Piano Sonata No. 14, Op. 27 No. 2, "Moonlight" (Opus Klassik 2019)

Parallele zu Nachtszene bei Mozart

Die Stimmung einer Nachtszene findet Igor Levit nachvollziehbar. Allerdings sieht er eine Parallele zu einem anderen Werk: der Eröffnungsszene in Mozarts Oper "Don Giovanni". Auch hier herrscht Nacht. Don Giovanni hat den Komtur erstochen. Die zweiten Geigen spielen einen triolischen Rhythmus - ähnlich wie die gebrochenen Dreiklänge in Beethovens Sonate. "Immer wenn ich dieses Stück spiele, habe ich dieses Bild im Kopf", sagt Igor Levit. Mozart gibt ihm in gewisser Weise auch das Tempo vor: "Dann lege ich die Hände auf die Tastatur und setzte nur fort, was sich im Kopf bereits abspielt."

Notenbild mit Rätseln

"Mondschein"-Sonate, Handschrift von Beethoven  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Unklar ist, wie der erste Satz gespielt werden soll. Beethovens Notenbild gibt Rätsel auf: Über den ersten beiden Takten stehen keine Legatobögen, die beginnen erst danach. Sollen die ersten Takte anders gespielt werden als der Rest? "Natürlich klingt das Stück irgendwie gebunden, aber eigentlich ist das Klangbild am Anfang ein anderes - für mich", sagt Igor Levit. Es sei kein Gesang, keine Melodie - nur Raum, der im Laufe des Satzes erweitert wird.

Bis hierher ist es weniger Musik als vielmehr Raum.
Igor Levit

Das Modell des "komponierten Raums" entdeckt Igor Levit auch in anderen Werken, wie beispielsweise in den Sinfonischen Etüden op.13 von Robert Schumann. "Erst zeigt er uns ein Gebäude und dann kommt eine Stimme. Und darunter ist nichts als Raum."

Die Krux mit dem Pedal - Interpretationssache!

Igor Levit und Anselm Cybinski bei Podcast-Aufnahmen von "32x Beethoven" | Bildquelle: Christian Kruppa Igor Levit diskutiert mit Anselm Cybinski im Podcast "32xBeethoven" | Bildquelle: Christian Kruppa Die nächste Frage betrifft das Pedal. Beethoven schreibt vor: den ganzen ersten Satz ohne Dämpfung spielen. Das bedeutet: Pedal durchdrücken. Dadurch klingen die Töne länger nach. Aber war es Beethovens Wunsch, dass die Harmonien ineinanderlaufen wie Aquarellfarben? "Why not?", meint Igor Levit und verweist unter anderem auf die "Waldsteinsonate". Allerdings hat sich Beethoven hier nicht klar dazu geäußert. Soll das Pedal ohne Unterbrechung durchgedrückt werden? Oder ist es stimmiger, das Pedal bei jedem Harmoniewechsel zu wechseln, also neu zu treten? So empfiehlt es der Beethoven-Schüler Carl Czerny. "Das ist eine Entscheidung, die du triffst", sagt Igor Levit. Das hänge auch vom Flügel ab, vom Saal, von der Tagesstimmung...

Was noch hinzukommt: Die Instrumente zu Beethovens Zeit klangen anders als moderne Flügel heute. "Die Töne klangen nicht so lang", erklärt Igor Levit. "Das heißt, wenn ich da ein Pedal durchdrücke, klingt es vielleicht halb so verschwommen wie heute."

2. Satz - "eine Blume zwischen zwei Abgründen"

Franz Liszt verglich das heitere Allegretto in Des-Dur einst mit einer "Blume zwischen zwei Abgründen". Igor Levit kann das absolut nachempfinden, geht aber noch einen Schritt weiter: "Das mit der Blume ist ein schönes Bild. Der Satz hat aber auch seine Bäuerlichkeit." Alles in allem sei es ein herrlich unkomplizierter Satz Musik - eingebettet zwischen den beiden Ecksätzen, die einiges gemeinsam haben.

3. Satz Finale - brutale Verzweiflung

"Es ist ein brutales Stück", sagt Igor Levit über den letzten Satz der "Mondscheinsonate". Äußerlich wahrt Beethoven die Sonatenform, hier streng gegliedert nach den Regeln. Die Musik selbst aber lasse sich mit "disperato" ("verzweifelt") am treffendsten beschreiben, sagt Igor Levit: "Die Verzweiflung ist in dem Satz allgegenwärtig." Wieder erzeugt Beethoven einen musikalischen Raum, wie schon im ersten Satz. Nur: Aus den gemütlichen Triolen werden im Finale rasende 16tel. "Im Grunde wird der erste Satz auf 'speed' fortgesetzt", erklärt Levit.

Es ist, als würde der erste Satz hier explodieren.
Igor Levit

Gemälde, Wien um 1804, von Willibrord Joseph Maehler (1778-1860) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ludwig van Beethoven | Bildquelle: picture-alliance/dpa Also: Formal alles korrekt, aber inhaltlich galoppiert die Musik davon. Diese Art zu komponieren ist typisch für Beethoven, findet Igor Levit: "Stücke, die formal so klar und eindeutig sind, klingen, als würde die Welt einstürzen." Innerhalb der Form schafft Beethoven die Welt neu. "Er schreibt einfach seine eigenen Gesetze", sagt Igor Levit: "Das ist so absolut einzigartig."

Katastrophe und Zusammenbruch

Ähnlich wie auch am Ende der "Appassionata" komponiert Beethoven am Schluss der "Mondscheinsonate" mehr Geräusch als Musik. "Der Schluss reißt einfach rein. Die Idee ist im Grunde die gleiche wie bei der 'Appassionata': Beethoven reißt die Welt in den Abgrund."

32 x Beethoven als Podcast

Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.

DAS WICHTIGSTE IM ÜBERBLICK

Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll, op. 27 Nr.2 "Mondschein"
Entstehung: 1801
Sätze: 1. Adagio sostenuto – attacca, 2. Allegretto - Trio, 3. Presto agitato
Der Clou: Beethoven komponiert einen Raum - darin erklingt eine menschliche Stimme.
Der Titel: Der Musikschriftsteller Ludwig Rellstab fühlte sich beim Hören des ersten Satzes an eine nächtliche Bootsfahrt auf dem Vierwaldstättersee erinnert. Er gab der Sonate den Titel "Mondschein-Sonate". Beethoven war zu dem Zeitpunkt bereits tot.

Sendung: "32 x Beethoven" am 7. April 2020, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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