Beethoven bewegt
BR-KLASSIK feiert Beethovens 250. Geburtstag
Sturm, Naturgewalt, ein galoppierendes Pferd? Viele Bilder drängen sich bei der "Sturm"-Sonate auf. Für Igor Levit gehört sie zu Beethovens "brutalsten Sonaten". Sie zu spielen, erschöpft ihn. "Beethoven tut weh", erklärt Levit im BR-KLASSIK-Podcast "32 x Beethoven". Für ihn geht es in der "Sturm"-Sonate vor allem um Verzweiflung, Gewalt und Schläge in die Magengrube. Ein menschliches Lebensdrama.
Bildquelle: Felix Broede
"Diese Sonate erschöpft mich jedes Mal - emotional", erzählt Igor Levit. Nach dem Spielen ist er fix und fertig. Was macht Beethovens "Sturm"-Sonate so anstrengend? "Für mich ist es eine der tragischsten und brutalsten Sonaten, die Beethoven geschrieben hat", sagt Igor Levit im BR-KLASSIK Podcast.
Beethoven beschreibt hier ein menschliches Lebensdrama.
Ein leises Arpeggio, der Klang bleibt stehen. Wie eine Improvisation klingt der Anfang dieser Sonate. "Das ist nur Atmosphäre, nur Klang - so kann alles anfangen", sagt Igor Levit. Auch Jörg Widmanns Klaviersonate "Fleurs du mal" beginnt mit einer ähnlichen Geste, ebenso Robert Schumanns Liederzyklus "Dichterliebe". Und Beethoven? "Diese Improvisation, dieser Klang erlaubt jede Form von Fortsetzung", meint Igor Levit. Beethoven habe hier den "Prototyp für kompositorische Revolution" geschaffen.
Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.
Igor Levit im Gespräch mit Anselm Cybinski beim BR-KLASSIK-Podcast "32xBeethoven" | Bildquelle: Christian Kruppa Auf den revolutionären Beginn antworten hektische Achtelnoten. Ein Ausdruck von Verzweiflung - eingebettet zwischen geräuschhaftem Klangteppich und melodischer Struktur. "Beethoven setzt der Atmosphäre Verzweiflung gegenüber", sagt Igor Levit über das, was in den ersten Takten der Sonate passiert. "Allein diese erste Zeile zu spielen, ist emotional schon sehr belastend."
Und es geht so weiter: Als "Schlag in die Magengrube" bezeichnet Igor Levit ein Thema, das in der Durchführung des ersten Satzes ganz unerwartet mit harten fortissimo-Schlägen im Bass wiederkehrt. Durch die vorausgehende zarte Passage wirkt der Kontrast umso härter. "Es ist wirklich, als würde jemand einen Hammer nehmen und mir ins Brustbein schlagen", sagt Levit.
Das ist ein gewaltsamer Schlag in die Magengrube.
Wie geht es dem Pianisten mit dieser Gewalt? Wie geht er damit um? "Ich nehme die Gewalt hin", sagt Igor Levit. "Sie ist Teil unseres Lebens." Was ihm beim Spielen der "Sturm"-Sonate für Bilder in den Kopf kämen, sei tagesabhängig. Aber: "Die Gewaltmomente wie auch die schönen Momente sind real und unausweichlich."
Beethoven wiederholt gerne immer wieder denselben musikalischen Gedanken. Selbst wenn es nur der Bruchteil eines Motivs ist, penetrant wirkt es in jedem Fall, findet Igor Levit: "Dieses Insistieren ist so typisch für Beethoven". Das kann Spaß machen oder einfach berauschend sein - so wie der endlos wiederholte Schlussakkord im Finale der 5. Sinfonie. "Beethoven drückt dir einen stumpfen Gegenstand tief ins Brustbein", vergleicht Levit. "Das tut irgendwann einfach weh."
Manche Pianisten haben den Ehrgeiz, alles streng nach Beethovens Vorgaben spielen zu wollen. Unmöglich, findet Igor Levit. Schon deshalb, weil nicht immer klar sei, was Beethoven meint. Im ersten Satz schreibt er an einer Stelle vor: "con espressione e semplice" ("expressiv und einfach"). "Ich weiß nicht, was das heißen soll - und werde auch nie so tun, als wüsste ich es", sagt Igor Levit. Er beruft sich auf seine eigenen Assoziationen und Bilder. "Das ist mein intimster Besitz, mein Moment, meine Musik - und die gehört nur mir."
Ich bin nicht Ausführender von Beethovens Informationen - das kann ich gar nicht.
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BBC In Tune Sessions: Igor Levit plays Beethoven
Auch der zweite Satz der "Sturm"-Sonate beginnt mit einem arpeggierenden Akkord. Igor Levit sieht darin eine Art Weiterentwicklung vom ersten Satz. "Er tastet sich vor, geht ein bisschen dahin und dorthin." Am Klavier demonstriert Levit: kleine "Paukenwirbel" in der linken Hand, dazu eine Art "Posaunenmelodie".
Igor Levits Noten mit Eintragungen seines ehemaligen Lehrers Karl-Heinz Kämmerling | Bildquelle: Bernhard Neuhoff "Und das hier ist ein Inselmoment", sagt Igor Levit und zeigt in die Noten. Sie sind übersäht mit Strichen, Bögen und Anmerkungen seines Lehrers Karl-Heinz Kämmerling. "Er bezeichnete diese Stelle als 'Insel des Glücks'." Das Wort "Insel" ist deutlich in den Noten zu lesen. "Ich schreibe mir gar nichts mehr auf", erzählt Igor Levit und lacht. "Kämmerling hat alles auf die Ewigkeit fixiert - und hat immer mit Kugelschreiber geschrieben." Selbst heute, viele Jahre später, nutzt Igor Levit noch diese Studiennoten.
Der "Insel-Moment" berührt ihn. Und das jedes Mal, wenn er ihn spielt. Ein Lichtblick in dieser düsteren Sonate: "Für einen kurzen Augenblick ist alles in Ordnung", so Levit.
Das Adagio ist ein Satz des Trostes.
Solche Stellen wecken bei jedem Gefühle und Assoziationen, ist sich Igor Levit sicher. Und diese Identifikationsmomente gibt es in jeder Beethoven-Sonate: "Irgendwann kommt der Moment, wo du merkst: das hat etwas mit mir zu tun."
Von allen drei Sätzen erschöpft Igor Levit der letzte emotional ganz besonders. "Danach geht es mir schlecht", gesteht er. Der Satz treibe alles auf die Spitze - auch Beethovens Insistieren auf einem Gedanken. "Das macht was mit mir, wenn ich das spiele", sagt Igor Levit. "Es tut weh und schmerzt."
Das Finale ist an Drama, Tragik und Brutalität kaum zu überbieten.
Igor Strawinsky verglich das Finale der "Sturmsonate" mit einem Trauermarsch - vorausgesetzt, er wird entsprechend langsamer gespielt. Beethovens Schüler Carl Czerny behauptet, Beethoven sei durch ein vorbeigaloppierendes Pferd zu dem sich immer wiederholenden Motiv inspiriert worden. Und Hugo Riemann bezeichnete den Satz als Perpetuum mobile - ein Vergleich, dem Igor Levit durchaus zustimmt: "Es ist ein rustikales, toccatahaftes perpetuum mobile."
Nicht nur das kreisende Motiv wiederholt sich unaufhörlich. Beethoven lässt auch - zunächst noch subtil - den Ton a im Bass immer wieder anschlagen und länger klingen. Das steigert sich gegen Ende des Satzes. Jetzt erklingt das "a" in beiden Händen - immer wieder, noch dazu im fortissimo. "Für mich hat dieser Satz etwas Unvermeidliches, Unausweichliches, Schmerzhaftes, Hartes, Insistierendes, ja beinahe Asketisches."
Ludwig van Beethoven, 1804 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Mental findet Levit dieses Finale so anstrengend wie das der "Appassionata". Dabei gebe es dort zumindest Momente des Innehaltens, sagt Igor Levit: "Die gibt es hier nicht. Das ist ausgeschriebene Atemlosigkeit. Und dann kriegt man auch noch dauernd Schläge ab." Für den Pianisten ist dieser Finalsatz an Drama, Tragik und Brutalität kaum zu überbieten. Warum lässt Beethoven eigentlich so viele Moll-Sonaten in düsterer Katastrophe enden? "Weil auch das Teil unseres Lebens ist", meint Igor Levit. "Da ist auch nicht alles positiv." Optimistischer wird es erst wieder in der dritten und letzten Sonate von op.31.
Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.
Klaviersonate Nr. 17 d-Moll, op. 31 Nr. 2 Sonate "Der Sturm"
Entstehung: 1801-02
Sätze: 1. Largo - Allegro, 2. Adagio, 3. Allegretto
Der Clou: Beethoven insistiert auf einigen musikalischen Gedanken. Das treibt er in dieser Sonate soweit, dass die Musik eine fast schmerzhafte emotionale Intensität bekommt.
Der Titel: Beethoven soll eine Verbindung zu Shakespeares Theaterstück "Sturm" gesehen haben. Das berichtet zumindest Beethovens Sekretär Anton Schindler, dessen biografische Notizen nicht gerade als zuverlässigste Quelle gelten.
Sendung: "32 x Beethoven" am 28. April 2020, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK