Sie sind jung und riskieren mit ihrer Musik viel: In einer Zeit des wachsenden Nationalismus bringen ein Türke, ein Armenier und ein Georgier alte Melodien ihrer Völker wieder zum Blühen. Lieder, die einst in einem gemeinsam bewohnten Kulturraum entstanden und später einseitig vereinnahmt wurden. Eine musikalische Verbrüderung.
Bildquelle: © Metin Yilmaz
Die Idee, Musik aus Armenien, Georgien und Anatolien wieder zusammenzuführen und gemeinsam zu spielen, hatte der türkische Multiinstrumentalist Deniz Mahir Kartal. Ihm war aufgefallen, dass türkische Popmusiker armenische Melodien mit neuem Text einfach übernehmen, ohne die Quellen und den ursprünglichen Kontext zu nennen. Etwa das armenische Klagelied "Adanayi Voghpe / Adana Ağıdı", das in seiner Originalversion vom Massaker an den Armeniern im Jahr 1909 in Adana erzählt. In Ostanatolien lebte bis zu Völkermord und Vertreibung eine große armenische Gemeinschaft. Ihre traditionelle Musik ist kaum bekannt, weder in der Türkei noch bei uns. Das junge A.G.A Trio möchte das nun ändern.
Neben Arsen Petrosyan, einem Dudukspieler aus Armenien, gehört der georgisch-stämmige Akkordeonist Mikail Yakut zum Trio. Sie alle spielten schon als Kinder traditionelle Instrumente und haben nun zusammengefunden, um alte Fäden wiederaufzugreifen und die Dinge zu überwinden, die sie trennen. In friedlichen Zeiten tanzten die Menschen im Südkaukasus und Anatolien Hand in Hand, in Zeiten von Kriegen und Völkermord sangen sie Klagelieder.
Wir wollten einen Blick auf die Vergangenheit werfen, die uns falsch oder nicht genau erzählt wurde
Der türkische Multiinstrumentalist Deniz Mahir Kartal will Musik aus Armenien, Georgien und Anatolien wieder zusammenzuführen. | Bildquelle: © Manne Pokrandt "Wir wollten eine Blick auf die Vergangenheit werfen, die uns falsch oder nicht genau erzählt wurde", beschreibt es Deniz Mahir Kartal. "Für uns war es ganz wichtig, heute diese Melodien Schulter an Schulter zu spielen mit der Hoffnung, uns wiederzufinden." Der 1987 in Üsküdar auf der asiatischen Seite Istanbuls geborene Musiker begann Fragen zu stellen: nach der zerstörten armenischen Kirche hinter dem Haus der Großeltern, nach seinem Stadtviertel, das eine historische Vergangenheit mit armenischer Bevölkerung hatte. Und als am 19. Januar 2007 der armenische Journalist Hrant Dink ermordet wurde, ging Kartal am nächsten Tag zu einer der größten Kundgebungen, die Istanbul bis dahin gesehen hatte. Hunderttausende Menschen riefen dort "Wir sind alle Hrant Dink, wir sind alle Armenier". Der damals zwanzigjährige Deniz Mahir Kartal, der Volkstanz an der Technischen Universität Istanbul studierte, war nun noch mehr sensibilisiert für das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich ein Tabuthema in der Türkei. Er zog nach Berlin und fuhr im Sommer 2017 mit einem Reisestipendium der Hrant Dink Stiftung in Istanbul nach Armenien.
Traditionelle Musik ist meine Identität, ist das Wasser, von dem man trinkt
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A.G.A Trio - Georgian Dance (Tsekva Kartuli from "Keto da Kote") - Kulturbrauerei Berlin (live)
Arsen Petrosyan vor dem Dorf seiner Großeltern in Georgien | Bildquelle: © Arphi Gabrielyan Arsen Petrosyan lebt in Charentsavan und studierte am Staatlichen Konservatorium Komitas beim Duduk-Meister Gevorg Dabaghyan. Seine Familie kommt aus der Stadt Erzurum, einem Gebiet im Osten der heutigen Türkei: für ihn Westarmenien, das historische Armenien. In seiner Familie gab es schon vor ihm viele Musiker, in Archiven macht sich Petrosyan auf die Suche nach seinen Wurzeln und findet traditionelle armenische Melodien und Stücke, die er für sein Holzblasinstrument Duduk bearbeitet. "Traditionelle Musik ist meine Identität, ist das Wasser, von dem man trinkt", definiert er diese enge Verbindung. "Traditionelle Musik hat Kraft, sie ist so tief, und sie reist von Jahrhundert zu Jahrhundert".
Mit dieser unbedingten Hingabe hat Petrosyan, der mit der Duduk elegische Klagelieder, aber auch fröhliche Tänze anstimmt, in Deniz Mahir Kartal, der die lange, am Rand geblasene Hirtenflöte Kaval spielt, einen Seelenverwandten gefunden. Die beiden treffen sich in Jerewan und Berlin, machen Sessions, probieren aus, tauschen Melodien.
Wir wollen unbedingt Konzerte geben in der Türkei, in Armenien und in Georgien
Grit Friedrich (Autorin) und Mikail Yakut | Bildquelle: © Mikail Yakut Mikail Yakut, der Akkordeonist im A. G. A Trio, lernte sein Instrument mit 13 Jahren bei Iberia Özkan und spielte schon als Teenager Lieder und Tänze anderer Minderheiten in der Türkei. Die georgische Musik seiner Eltern kannte er von Schallplatten oder Kassetten und im Trio mit Kartal und Petrosyan ist er vor allem zuständig für die mitreißenden georgischen Tänze mit ihren ganz eigenen Rhythmen. Dass er und seine Musikerkollegen nun ein Repertoire über aktuelle Grenzen hinweg wiederbeleben, ist für ihn alles andere als selbstverständlich: "In der Türkei solche Sachen auf Türkisch zu machen, wäre gefährlich. Aber wir wollen unbedingt Konzerte geben in der Türkei, in Armenien und in Georgien. Und es ist uns bewusst, dass wir viel Kritik als Reaktion bekommen werden."
Wie Mahir lebt Mikail mittlerweile in Berlin. Für den Armenier Arsen Petrosyan, der auf seiner Duduk die menschliche Stimme nachahmt und in armenischen Volksliedern die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat beschwört, ist es dagegen riskanter sich kritisch zu äußern. Denn es ist eine Zeit, da im Kaukasus wieder Menschen auf der Flucht sind vor Kriegsgewalt und junge Männer wie er jederzeit vom Militär eingezogen werden können.
Umso mehr ist die völkerverbindende Musik des A.G.A Trios ein mutiges Wagnis. "Meeting" heißt ihr Debütalbum mit armenischen Klageliedern, anatolischen Hirtenmelodien und georgischen Tänzen. Ein brüderliches Statement für die Multikulturalität Anatoliens und des Kaukasus.
In der Sendung "Musik der Welt" am 13. Februar 2021 stellt die Autorin Grit Friedrich das A.G.A Trio und seine Musik vor. Die Sendung steht bis zum 20. Februar zum Nachhören online.