BR-KLASSIK

Inhalt

100. Geburtstag Charlie Parker Auf dem Bebop-Stern

Vor rund achtzig Jahren war Altsaxophonist Charlie Parker einer der Bebop-Revolutionäre. Er veränderte den Jazz auf immer. Parker hat Instrumentalisten unterschiedlicher Generationen stark beeinflusst. Wir fragten Musikerinnen und Musiker der jüngeren Szene nach ihren Charlie-Parker-Einflüssen und Schlüsselerlebnissen.

Altsaxophonist Charlie Parker zusammen mit Bassist Tommy Parker und Trompeter Miles Davis. | Bildquelle: dpa/Süddeutsche Zeitung Photo

Bildquelle: dpa/Süddeutsche Zeitung Photo

Nicole Johänntgen:

Charlie Parker - für mich der Inbegriff für Bebop. Songs wie "Yardbird Suite", "How high the moon" oder "A Night in Tunesia" begleiten mich seit Beginn meines Saxophonspiels. Revolutionär! Ein wahrer Künstler auf dem Alt-Saxophon. Er lebte für die Musik und reiste viel zu früh zu seinem Bebop-Stern, wo er heute noch als grosser Meister uns Saxophonistinnen und Saxophonisten den Weg zeigt.

Saxophonistin Nicole Johänntgen | Bildquelle: Daniel Bernet Saxophonistin Nicole Johänntgen | Bildquelle: Daniel Bernet Nicole Johänntgen, geboren 1981 im Saarland, gehört seit Anfang der 2000er Jahre zu den vielbeachteten Saxophonistinnen in Europa. Sie hat diverse Preise gewonnen, darunter etwa 2011 den Preis für Jazzsolissten in Monaco. Seit 2005 lebt sie in Zürich. Sie komponiert auch und hat das vielbeachtete Projekt S.O.F.I.A. initiiert: "Support Of Female Improvising Artists".

Uwe Steinmetz:

"Charlie Parker with Strings" habe ich mit 15 zuerst gehört. Bis heute ist es die musikalische Seite von Parker, die mich durch die Klangschönheit seines Altsaxophonspiels am meisten bewegt und  durch seine Hintergrundmotivation zu der Aufnahme als Jazzmusiker und Saxophonisten beständig inspiriert. Die Hoffnungen und Visionen, die Parker mit diesen von ihm initiierten Aufnahmesessions verband, machen Parker für mich zu einem der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts mit ungebrochener heutiger Relevanz: Er verbindet hier seine geliebten Musikwelten, von Strawinsky bis zum BeBop und dem Blues. Charlie Parker verstand Jazz als die Musik, die sich aus allen Genres über kulturelle Barrieren hinweg inspirieren und speisen konnte, und das Saxophon als das Instrument, das diesem verbindenden, integrativen Wesen in technischer Eleganz und Klangschönheit Ausdruck verleihen konnte. Dabei gehe es ihm immer um die schönen Töne und Klänge in der Musik, betonte Parker. Die kompromisslose Weise, in der er seine musikalische Kunst beständig vertiefte und weiterentwickelte, unabhängig vom jeweiligen vergänglichen Zeitgeist, machten aus seinen schönen Klängen ewige.

Saxophonist Uwe Steinmetz | Bildquelle: Andreas Schoelzel Saxophonist Uwe Steinmetz | Bildquelle: Andreas Schoelzel Uwe Steinmetz, geboren 1975 in Bremervörde (Norddeutschland), ist ein international angesehener Saxophonist und Komponist aus Deutschland. Er studierte in Berlin, Bern, Indien und Boston, hat als Solist mit so unterschiedlichen Partnern wie Joe Maneri und Markus Stockhausen gearbeitet. Er schrieb unter anderem Werke für Krichenorgel und Streichquartett und hat sich im Rahmen einer Dissertation besonders mit Musik in unterschiedlichen Kulturen der Welt befasst. Außer in eigenen Bands ist er unter anderem seit Jahren im stark beachteten Quintett der deutschen, in Schweden lebenden Bassistin Eva Kruse zu erleben.

Hugo Siegmeth:

Als ich das erste Mal Aufnahmen von Parker und Gillespie hörte, das war eine Zusammenstellung auf einer überspielten Kassette, wusste ich nicht so recht, was da musikalisch vor sich ging. Ich spürte nur diese vibrierende Energie in der Musik, eine Aufgeregtheit, Spannung und Intensität, die mich sofort begeisterte.
Viele Jahre später liebe ich es immer noch, Parker zu hören: absolut inspirierend, verbindlich und innovativ - und ich höre die Musik ganz anders: Parker spielt für mich nur Melodien - ganz einfach (obwohl das, was er spielt, überhaupt nicht einfach ist) und ganz natürlich. Er klingt für mich wie ein Maler, der seine Linien zieht, mal mit Bleistift, mal mit Pinsel, aus dem Moment, immer schlüssig und formvollendet. Am Saxophon lernte ich mit den ersten Parker-Soli, die ich aus dem Omnibook spielte, die Grundlagen der Jazzphrasierung - die auch heute noch in fast jeder Stilistik Bestand haben - die richtige Artikulation, Bögen phrasieren, dann harmonische Erweiterungen mit einer stringenten Melodik zu verknüpfen, und man findet bei ihm immer Spielwitz und tief-ergreifenden Blues dicht beieinander. Vielleicht ist es musikgeschichtlich etwas überspitzt formuliert, aber ich denke, Parker hat auf eine Art das moderne Saxophonspiel erfunden und einen melodischen Weg bereitet, den man auf eigentlich allen Instrumenten nachverfolgen kann. In seiner musikalischen Kraft und Innovation ist er im Jazz im wahrsten Sinn des Wortes eine geniale Persönlichkeit, schillernd und herausstechend in seinem Spiel und auch in seiner musikgeschichtlichen Bedeutung - absolut zu vergleichen mit Jahrhundertgenies der klassischen Musik wie Bach oder Mozart.

Saxophonist Hugo Siegmeth | Bildquelle: Tom Freudenberg Saxophonist Hugo Siegmeth | Bildquelle: Tom Freudenberg Hugo Siegmeth, geboren 1970 in Arad / Rumänien, ist ein in München lebender, deutscher Saxophonist, der seit Ende der 1990er Jahren in vielen ungewöhnlichen Projekten zu erleben ist. Er hat mit Musikern wie Clark Terry und Michael Wollny gespielt, hat herausragende eigene CDs veröffentlicht, wie etwa "Red Onions" (2006) und "Passacaglia" (2011), schreibt Filmmusiken und bildet mit dem Lautenisten Axel Wolf, einem Spezialisten für Alte Musik, ein Duo, in dem er unter anderem Klassiker von Charlie Parker spielt (CD "Flow", 2014).

Angelika Niescier:

Parkers Musik. ist quasi die Blaupause jeder Saxophon spielenden Person. Ob als Profi, Semi-Profi, oder Laie, faktisch alle kommen an den Punkt, sich unweigerlich mit Parkers Musik zu beschäftigen. Ganz gleich wie tief diese Beschäftigung erfolgen kann, seine Musik ist so essenziell, dass sie auf jedem der Level unzählige Entdeckungen ermöglicht. Bei Profimusiker*innen hat Parker dadurch auch automatisch einen Einfluss auf unsere Musik, und zwar völlig unabhängig von der Stilistik. Für mich ist es immer eine wiederkehrende Freude seine Stücke, seine Soli zu spielen. Selbstredend gehören einige seiner Platten zu meinen All-Time-Favs.

Angelika Niescier | Bildquelle: Arne Reimer Bildquelle: Arne Reimer Angelika Niescier, geboren 1970 in Stettin, Polen, ist seit Ende der 1990er Jahre eine herausragende Musikerin in Deutschland, wo sie seit langem lebt. Sie ist Trägerin sehr vieler Preise, darunter der bedeutendste deutsche Jazzpreis, der Albert-Mangelsdorff-Preis, den sie 2017 erhielt. Am besten charakterisiert ihr sprudelnd-geistsprühendes Spiel, in dem man ein komplexes zeitgenössisches Echo auf die Saxophonkunst Charlie Parkers zu vernehmen glaubt, ein Satz des FAZ-Kritikers Ulrich Olshausen: "Satt und farbenreich ist der Ton, virtuos die Technik, die von Energie, Inspirationsfülle und Mitteilungsdruck angetrieben scheint, so als ob die Spielerin nie dafür hätte üben müssen."

Evgeny Ring:

Meine erste Begegnung mit Parkers Musik war, als ich mit 14 oder15 Jahren eine Transkription seines Solos über "Now's the time” gehört und später geübt und gespielt habe. Zu der Zeit hatte ich ganz andere Saxophon-Idole (z.B. Eric Marienthal, Michael Brecker … ), und die Entdeckung von Parkers Musik hat erst einmal meine Vorstellung über Jazzmusik komplett auf den Kopf gestellt. Seine Musik und seine Art zu spielen waren für mich damals so kontrovers, dass ich gar nicht sagen konnte, ob es mir gefiel oder nicht… es klang für mich damals teilweise so "imperfekt" und "chaotisch”, aber trotzdem unglaublich stark und überzeugend. Ich habe seitdem versucht, mehr über seine Musik zu erfahren und habe unzählige Aufnahmen gehört und ganz viele Soli von ihm transkribiert und nachgespielt.

Zuerst habe ich versucht, sein tonales Material zu verstehen und Teile davon für mich zu übernehmen und zu adaptieren. Er hat eine "harmonische Revolution” im Jazz angefangen, war der erste, der den chromatischen Tönen ganz andere Funktion und Bedeutung gegeben hat. Womit ich mich allerdings immer schwergetan habe, war die "Lick-artige” Denk- und Spielweise. Anfangs habe ich stundenlang seine Patterns geübt und nachgespielt - konnte die aber nie in meinen Soli einsetzen. Was bei Parker so natürlich klang, war für mich in meiner Musik absolut nicht anwendbar. So habe ich später für mich festgestellt, dass es gar nicht die Töne sind, die mich in seiner Musik so faszinieren, sondern die Art und die Phrasierung, in der diese Töne gespielt werden. Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, die so überzeugend eine Geschichte erzählen können. Parker durchdringt mit jedem Ton, und nur so konnte er damals die Jazzmusik revolutionieren. Auch heute noch höre ich ganz gern seine Aufnahmen. Mein Lieblings-Album ist "Charlie Parker with Strings” :=).

Evgeny Ring | Bildquelle: privat Bildquelle: privat Evgeny Ring, geboren 1987 in Rostow (Russland), ist ein in Deutschland lebender Saxophonist, der seit 2007 in Leipzig Saxophon und danach in Köln Komposition studiert hat. In Russland spielte er bereits in einer Kinder-Big-Band, in Deutschland und darüber hinaus hat er sich als herausragender Saxophonist – mit der Fähigkeit zu besonders feiner Abtönung von Klängen - und als Komponist von Stücken mit großem Detailwitz einen Namen gemacht. Er spielt unter anderem im Quartett der Schlagzeugerin Eva Klesse und im "Magnetic Ghost Orchestra" sowie in seinem eigenen Quartett und hat diverse Preise erhalten.

    AV-Player